Bibelverständnis eines Bahá'í - Zitate und Textauszüge
Wir können nicht sicher sein, wie viel oder wie wenig von den vier Evangelien authentisch ist und die Worte Christi und Seine unverwässerten Lehren enthält. Alles, dessen wir uns als Bahá'í sicher sein können, ist dass das, was von Bahá'u'lláh oder dem Meister zitiert worden ist, absolut authentisch sein muss. Da sehr häufig Abschnitte aus dem Johannesevangelium zitiert werden, können wir annehmen, dass es tatsächlich das Evangelium des Johannes und das meiste davon authentisch ist.
Aus einem Brief im Auftrag des Hüters an einen einzelnen Gläubigen, 23.01.1944
Wenn 'Abdu'l-Bahá sagt, dass wir glauben, was in der Bibel steht, dann meint Er dies dem Gehalt nach. Das bedeutet nicht, dass wir glauben, dass jedes Wort darin wörtlich genommen werden muss oder dass jedes Wort ein authentischer Ausspruch eines Propheten ist.
Aus einem Brief im Auftrag des Hüters an einen einzelnen Gläubigen, 11.02.1944
Wir können uns nicht über die Authentizität irgendeines Ausspruches aus dem Alten oder dem Neuen Testament sicher sein. Sicher sein können wir uns aber, wann immer solche Quellen oder Worte entweder im Qur'án oder in den Bahá'í-Schriften wiedergegeben oder direkt zitiert werden.
Aus einem Brief im Auftrag des Hüters an einen einzelnen Gläubigen, 04.07.1947
Wir Bahá'í glauben nicht wortwörtlich an den Schöpfungsbericht der Bibel. Wir wissen, dass diese Welt nicht in sieben Tagen erschaffen worden ist, oder in sechs, oder in acht, sondern schrittweise in einem Zeitraum von Millionen von Jahren entstand, wie die Forschung bewiesen hat. Bezüglich Ihrer Frage, wie die Sieben-Tage-Woche entstanden ist, können wir nur sagen, dass diese Vorstellung sicherlich sehr alt ist und Sie sich für eine Antwort an Altertumsforscher wenden sollten...
Die Aussage in 'Die Sieben Tage der Schöpfung' kann sicherlich nicht als autoritativ und akkurat angesehen werden. Wir verstehen die Arche und die Flut symbolisch.
Aus einem Brief im Auftrag des Hüters an einen einzelnen Gläubigen, 28.10.1949
Die Jahre Noahs sind keine Jahre, wie wir sie zählen. Da unsere Lehren nicht angeben, dass mit dem Verweis auf die Jahre die Dauer Seiner Sendung gemeint sei, können wir es nicht so auslegen.
(Aus einem Brief im Auftrag Shoghi Effendis an einen einzelnen Gläubigen, 25.11.1950 **)
Abgesehen von dem, was Bahá'u'lláh und 'Abdu'l-Bahá erklärt haben, haben wir keine Möglichkeit festzustellen, was die zahllosen symbolischen Hinweise in der Bibel bedeuten.
Aus einem Brief im Auftrag des Hüters an einen einzelnen Gläubigen, 31.01.1955
Die Interpretation biblischer Prophezeiungen war lange Gegenstand des Streits und der Spekulationen unter den Schriftgelehrten. Als Bahá'í müssen wir uns für verbindliche Führung in diesen Dingen den Schriften Bahá'u'lláhs, 'Abdu'l-Bahás und Shoghi Effendis zuwenden. Wenn ein Thema in den Heiligen Schriften nicht erwähnt oder erklärt worden ist, steht es uns frei, andere Bücher heranzuziehen und die Ansichten von Gelehrten zu berücksichtigen, wenn wir dies wünschen. Dieses Prinzip wird durch den folgenden Abschnitt aus einem Brief im Auftrag des Hüters an einen einzelnen Gläubigen bestätigt:
„Bezüglich dessen, was Mírzá Abu'l-Fadl über die sieben Religionen der Vergangenheit geschrieben hat, möchte Shoghi Effendi darauf hinweisen, dass nur die Worte des Meisters wirklich autoritativ sind. In allen solchen Fällen sollten wir versuchen, herauszufinden, was Er zu diesen Themen gesagt hat, und uns an Seine Worte halten; selbst dann, wenn sie den Erkenntnissen heutiger Gelehrter zu widersprechen scheinen. Hat Er zu einem Thema nichts gesagt, steht es dem Einzelnen frei, das, was Gelehrte wie Abu’l-Fadl schreiben, zu akzeptieren oder abzulehnen. Durch ihre Diskurse wird die Wahrheit schließlich ans Licht kommen. Aber zu keiner Zeit sollten ihre Schlüsse als endgültig angesehen werden.“ [...]
Das Universale Haus der Gerechtigkeit hat uns angewiesen, Ihnen für die weitere Lektüre die Beantworteten Fragen zu empfehlen, da dieses Werk unter anderem 'Abdu'l-Bahás Auslegungen einiger derjenigen Stellen enthält, die Sie aus dem Buch Daniel anführen, ebenso wie weitere Themen aus dem Alten und dem Neuen Testament. Sie werden bemerken, dass 'Abdu'l-Bahá, zusätzlich zu Seinen eigenen Auslegungen, zur persönlichen Initiative bei der Enthüllung der göttlichen Geheimnisse ermutigt. Zum Beispiel schreibt Er am Ende des zwanzigsten Kapitels über die Taufe: „Diese Frage erfordert tiefes Nachdenken. Dann wird die Ursache für diese Änderungen klar und offenbar.“ Und am Ende des dreißigsten Kapitels über Adam und Eva fährt Er, nachdem er zunächst Seine eigene Interpretation dargelegt hat, fort: „Dies ist eine der Bedeutungen der biblischen Geschichte von Adam. Denke nach, bis du die anderen findest.“
Aus einem Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen einzelnen Gläubigen, 17.01.1978
Sie bitten um eine Erklärung der Aussage in einem Brief im Auftrag des Hüters vom 11. Februar 1944: „Wenn 'Abdu'l-Bahá sagt, dass wir glauben, was in der Bibel steht, dann meint Er dies dem Gehalt nach. Das bedeutet nicht, dass wir glauben, dass jedes Wort darin wörtlich genommen werden muss oder dass jedes Wort ein authentischer Ausspruch eines Propheten ist.“ Ist es nicht eindeutig, dass, was Shoghi Effendi an dieser Stelle meint, ist, dass wir nicht kategorisch behaupten können, anders als wir dies im Falle der Schriften Bahá'u'lláhs können, dass die Worte und Aussagen, die Moses und Christus im Alten und Neuen Testament zugeschrieben werden, Ihre genauen Worte waren, aber dass wir, im Bewusstsein des grundlegenden Prinzips, das Bahá'u'lláh im Kitáb-i-Íqán aufgestellt hat, dass nämlich Gottes Offenbarung unter Seiner Fürsorge und Seinem Schutz steht, versichert sein können, dass die Essenz, oder die wesentlichen Bestandteile dessen, was diese beiden Manifestationen Gottes zu übermitteln beabsichtigten, in diesen beiden Büchern aufgeschrieben und bewahrt worden ist?
Aus einem Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen einzelnen Gläubigen, 19.07.1981
Beim Studium der Bibel sollten die Bahá'í zwei grundlegende Prinzipien berücksichtigen. Das erste ist, dass zahlreiche Abschnitte in den Heiligen Schriften dazu gedacht sind, metaphorisch verstanden zu werden, und nicht wörtlich, und dass einige der auftauchenden Paradoxien und scheinbaren Widersprüche dazu gedacht sind, genau dies anzudeuten. Das zweite ist die Tatsache, dass der Text der frühen Schriften wie der Bibel nicht vollkommen authentisch ist.
Aus einem Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen einzelnen Gläubigen, 28.05.1984
Die Bahá'í glauben, dass das, was in der Bibel steht, in seinem Wesenskern wahr ist. Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne Vers in dieser Schrift wörtlich genommen werden und wie die authentische Wiedergabe der Worte eines Propheten behandelt werden sollte. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür liefert uns der Bericht über das Opfer, das Abraham zu bringen befohlen wurde. Der geliebte Hüter bestätigt, dass dem Bericht im Koran und den Schriften Bahá'u'lláhs, nämlich dass es Ismael war, und nicht Isaak, wie im Alten Testament behauptet, den Abraham opfern wollte, zu folgen sei. In einem Seiner Tablets geht 'Abdu'l-Bahá auf diese Diskrepanz ein und erklärt, dass es, von einem geistigen Standpunkt aus, irrelevant ist, welcher Sohn beteiligt war. Der wesentliche Teil der Erzählung ist, dass Abraham bereit war, Gottes Befehl zu gehorchen und Seinen Sohn zu opfern. Daher ist das Zeugnis der Thora im Kern wahr, mag es auch in Einzelheiten ungenau sein. Die Bahá'í glauben, dass die Offenbarung unter der Fürsorge und dem Schutz Gottes steht und dass der Wesenskern, oder die wesentlichen Teile, dessen, was Seine Manifestationen festzuhalten beabsichtigten, in diesen Heiligen Texten aufgezeichnet und bewahrt worden ist. Da die Worte der alten Propheten erst einige Zeit später niedergeschrieben worden sind, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, dass die Worte und Aussagen, die Ihnen zugeschrieben werden, ihre genauen Worte waren, anders als wir dies im Fall der Schriften Bahá'u'lláhs können.
Aus einem Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen einzelnen Gläubigen, 09.08.1984
Die Christen betrachten die Auferstehung Christi und Seine Himmelfahrt als leibliches Geschehen, das Seinen physischen Körper einschließt, während die Bahá'í-Schriften erklären, dass diese Berichte symbolisch verstanden werden sollten. Die grundsätzliche Frage der Symbolik innerhalb der Bibel wird von Bahá'u'lláh in großer Ausführlichkeit im Kitáb-i-Íqán behandelt und im ersten Teil dieses Buches, Vers 53, erklärt er den Zweck der Symbolik in allen Heiligen Büchern:
„Wisse wahrlich, dass die auf die Offenbarer der heiligen Gottessache zurückgehenden symbolischen Begriffe und dunklen Andeutungen die Völker der Welt prüfen sollen, so dass so die Erde der reinen, erleuchteten Herzen geschieden werde vom vergänglichen, öden Boden. Seit unvordenklicher Zeit war dies der Weg Gottes inmitten Seiner Geschöpfe, wie dies die Berichte der heiligen Bücher bezeugen.“
Zu der Zeit, als das Neue Testament geschrieben wurde, und noch viele Jahrhunderte später, war es allgemein anerkannter Bestandteil des Weltbildes, dass die Welt, auf der wir leben, der Mittelpunkt des Universums sei, die Hölle ein Ort, der sich buchstäblich unter der Erde befindet, während der Himmel buchstäblich über den Wolken verortet wurde, jenseits der Atmosphäre der Planeten. Für die Menschen jenes Zeitalters war nichts Absurdes darin, die „Höllenfahrt“ (Jesu Abstieg in die Hölle, um die Seelen der Gerechten der vergangenen Zeitalter hinauszuführen) oder Seine leibliche Himmelfahrt wörtlich zu verstehen.
Zu Zeiten Jesu waren die Vorstellungen der Menschen über das nächste Leben sehr vage, mochten sie Juden oder Heiden sein. Auch wenn sie sich die nächste Welt als einen physischen Ort vorgestellt haben mochten, so fassten sie doch das Leben dort als einen schattenhaften, unwirklichen, fahlen Abglanz der Wirklichkeit auf. Jesus vermochte sie zu lehren, dass das nächste Leben ebenso wirklich, im Gegenteil noch viel „wirklicher“ als dieses Leben ist; es ist daher nicht überraschend, dass die christliche Tradition über die Jahrhunderte versucht hat, das zu „konkretisieren“, was eigentlich als geistige Wahrheit gedacht war.
Heutzutage, da wir eine klarere Vorstellung der Beschaffenheit des physischen Universums haben, erscheint uns die Vorstellung, dass ein leiblicher Körper zum Kern der Erde hinabsteigen oder im Gegenteil in die Gefilde jenseits der Stratosphäre aufsteigen könne (ausgenommen vielleicht in einem Raumschiff) als ein lächerliches Hirngespinst. Die Bahá'í-Schriften machen nichtsdestotrotz klar, dass, auch wenn wir diese Berichte nicht als im wörtlichen Sinne wahr betrachten können, dies weder die Wahrheit noch die Bedeutung der geistigen Wirklichkeiten, die sie vermitteln, schmälert.
Aus einem Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen einzelnen Gläubigen, 09.10.1989
Sie fragen nach einem Auszug aus einem Tablet 'Abdu'l-Bahás, der sich mit der Geschichte von Lot und seinen Töchtern befasst, die sich im Alten Testament findet. In diesem Auszug erklärt 'Abdu'l-Bahá, dass „die Geschichten von Lot und seinen Töchtern sowie vom Abfall einiger Propheten, die in der Thora und in den Psalmen aufgezeichnet sind ... verwirrte Träume“ seien, „die in Wahrheit nur die Worte von Historikern unter dem Volk der Schrift“ seien, für die „Gott keine Vollmacht erteilt“ habe. Ein Brief im Auftrag Shoghi Effendis hingegen erklärt, dass Lot entsprechend dem ausdrücklichen Text von 1. Mose 19:29-38 keine Verantwortung für das Verhalten seiner Töchter trägt. Sie fragen, wie der Hüter dieser Erzählung glauben schenken kann, bedenkt man die Aussagen 'Abdu'l-Bahás in dessen Tablet...
Zum jetzigen Zeitpunkt sind in den Archiven des Bahá'í-Weltzentrums weder Briefe Shoghi Effendis noch solche in seinem Auftrag bekannt, die sich auf den oben erwähnten Abschnitt aus einem Tablet 'Abdu'l-Bahás beziehen. Wir stellen jedoch fest, dass zahlreiche Aussagen des Hüters bezüglich der Authentizität der Bibel mit den Aussagen 'Abdu'l-Bahás bezüglich der Geschichte von Lot übereinstimmen. So lesen wir zum Beispiel in einem Brief im Auftrag Shoghi Effendis an einen einzelnen Gläubigen vom 11. Februar 1944:
„Wenn 'Abdu'l-Bahá sagt, dass wir glauben, was in der Bibel steht, dann meint Er dies dem Gehalt nach. Das bedeutet nicht, dass wir glauben, dass jedes Wort darin wörtlich genommen werden muss oder dass jedes Wort ein authentischer Ausspruch eines Propheten ist.“
Mit dieser Aussage vor Augen scheint es so, dass der Hüter sich auf die Geschichte von Lot und seinen Töchtern bezieht, wie sie in der Bibel steht, ungeachtet ihrer Authentizität oder Verlässlichkeit, und dass er nicht behauptet, der Text von 1. Mose 19:29-38 sei wörtlich zu verstehen.
Aus einem Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen einzelnen Gläubigen, 29.03.2015
* Nicht authorisierte, vorläufige Übersetzungen aus dem Englischen