Die Bahá‘í – Beratung
Die Bahá‘í – Beratung
...ist ein gleichberechtigtes Miteinander – Rathalten, um gemeinsam die Lösung eines Problems zu finden und umzusetzen, ein Prozess.
...hat zum Ziel: Einsicht bzw. Wahrheit und Wegweisung im Sinne der Gemeinschaft zu finden.
...ist anders als unser üblicher Umgang miteinander.
...ist etwas Anderes als eine Diskussion.
...muss daher immer wieder geübt werden.
Voraussetzungen, Regeln, Bedingungen
Liebe und Freundschaft
Die Beratenden müssen frei sein von Entfremdung und einander achten. Harmonie (nicht Uniformität der Meinungen!) ist Voraussetzung, Mittel und Ziel der Beratung.
Die Atmosphäre unter den Beratenden, die Beziehungsebene des Prozesses, hat Vorrang vor der Sachebene. Bei Streit ist das Thema zurückzustellen, bis die Atmosphäre bereinigt ist.
Harmonie und Einheit werden durch das Verfolgen eines gemeinsamen Ziels / gemeinsamer Ziele möglich.
Liebe zu denen, die von der Entscheidung betroffen sind.
Geistige Eigenschaften
Sammlung, Konzentration, sich besinnen
Loslösung vom eigenen Alltag und seinen Sorgen
Bewusstmachung und Stärkung geistiger Eigenschaften, besonders
- Reinheit des Beweggrundes
- Bescheidenheit und Demut
- Geduld und Langmut
- Dienstbarkeit
- Gerechtigkeit
- Liebe
Freiheit
Alle müssen ihre Gedanken und Gefühle in aller Freiheit und „auf ihre Art“ aussprechen können. Die Gleichwertigkeit der Beratenden ist die Voraussetzung für freie Meinungsäußerung.
Mäßigung, Höflichkeit und Rücksichtnahme sind unabdingbar. D.h. nicht, etwas Wichtiges zu verschweigen, sondern dies angemessen zum Ausdruck zu bringen.
Durch Widerspruch darf sich niemand verletzt fühlen.
Loslösung von den eigenen Äußerungen – Loslösung von der Person, die etwas äußert: das Gesagte steht zur freien Verfügung, wird Eigentum des Gremiums, der Gruppe…und entwickelt sich durch („Gegen“-) Argumente weiter, so dass der Lösungsprozess fortgesetzt werden kann.
Gerechtigkeit
Gleichwertigkeit der Partner: Geschlecht, Rasse, Nationalität, Bildung, Erfahrung, Stellung, äußere Erscheinung… führen nicht zu einem Machtgefälle; jede Äußerung wird ernst genommen. Vielfalt ist Bereicherung und Quelle von Kreativität.
Es gilt ebenso die Gleichwertigkeit derjenigen, die vom Beratungsergebnis betroffen sein werden. Jeder Teilnehmer muss so beraten, als seien es seine eigenen Angelegenheiten.
Um dem Beratungsgegenstand gerecht zu werden, muss er vor einer abschließenden Beurteilung und Beschlussfassung so weit wie möglich von allen Seiten betrachtet werden.
Die vorhandenen menschlichen, materiellen und zeitlichen Ressourcen und Kräfte müssen beachtet werden.
Einigkeit
Einigkeit ist wichtiger als die Richtigkeit der Entscheidung.
Die Entwicklung der Erkenntnisfähigkeit des Gremiums / der einzelnen Beratenden ist nur durch Eintracht und Liebe möglich, niemals durch Zwang und Ungeduld.
Ein gefasster Beschluss muss einmütig von allen getragen werden, gemeinsam vertreten und umgesetzt werden.Dies gilt auch bei Mehrheitsbeschlüssen. Abweichende Meinungen werden nicht mehr geäußert.
Die Änderung eines Beschlusses ist nur nach erneuter Beratung möglich.
Aber: Bei der Abstimmung gilt die eigene Überzeugung „nach bestem Wissen und Gewissen“. Eine Stimmenenthaltung ist nicht möglich.
Einstimmigkeit ist in der Abstimmung das Ziel und gleichzeitig das Indiz für eine abgeschlossene, vollständig ausgetragene Beratung. Leider ist dies nicht immer möglich, dann entscheidet die Mehrheit.
Forschen nach Wahrheit
...in der zu beratenden Angelegenheit; und zwar mit allen zur Verfügung stehenden „Medien“: Vernunft, Phantasie, Gefühle, Gebet und Meditation, Kreativität, Besinnungspausen, Brainstorming…
...heißt, alle Vorurteile abzulegen
...heißt, die eigene Meinung als vorläufig zu betrachten
Wahrheit wird sich durch das Zusammenprallen verschiedener Meinungen, durch den geistigen Austausch, durch die Auseinandersetzung mit den Gedanken, Gefühlen etc., durch wirkliche Kooperation erweisen. Meistens wird das Beratungsergebnis etwas nicht Vorhersehbares, völlig Neues und qualitativ Anderes sein, als die ursprünglichen geäußerten Meinungen, Ideen, Ahnungen…
Das Ziel ist nicht nur eine Kompromisslösung, sondern die Synthese oder Integration der verschiedenen Beiträge.
Bahá‘í – Beratung ist nicht
...Partei zu ergreifen oder Gruppeninteressen zu vertreten
...uns selbst, unser Wissen, unsere Persönlichkeit etc. zu wichtig zu nehmen
...recht haben zu wollen, es besser zu wissen
...Macht und Einfluss zu wünschen oder auszuüben
...uns selbst, unser Wissen, unsere Persönlichkeit etc. zu gering zu achten
Hauptquellen dieser Zusammenstellung sind die unveröffentlichte Diplomarbeit von Dorothee Zaplinski, 1996, „Die Bahá‘í-Beratung - eine Methode zur Entscheidungsfindung und Problemlösung und ihre Anwendung im Sozialwesen“, Notizen, Skripte, Anmerkungen von Thomas Floeth und „Beratung – Eine Zusammenstellung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom Februar 1978
Der Mensch muß über alle Dinge beraten
Der Mensch muss über alle Dinge, ob bedeutend oder gering, beraten, so das er erkennen möge, was gut ist. Beratung gibt ihm Einsicht in die Dinge und befähigt ihn, sich in Fragen zu vertiefen, welche unbekannt sind.
Das Licht der Wahrheit strahlt aus den Angesichtern derer, die sich der Beratung widmen. Solche Beratung läßt die lebendigen Wasser in den Wiesen der Wirklichkeit des Menschen fließen, läßt die Lichtstrahlen der altehrwürdigen Herrlichkeit auf ihn scheinen und schmückt den Baum seines Seins mit wunderbaren Früchten.
Die beratenden Mitglieder aber sollten in äußerster Liebe, Harmonie und Aufrichtigkeit miteinander umgehen.
Das Prinzip der Beratung ist eines der grundlegendsten Bestandteile des göttlichen Gebäudes. Selbst in ihren gewöhnlichen Angelegenheiten sollten die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft beraten.
Jeder der Freunde sollte den anderen aufs höchste loben, und jeder sollte sich selbst in der Gegenwart anderer für verschwindend klein und unendlich gering halten.
Alle Angelegenheiten sollten in der Versammlung beraten werden, und was immer die Stimmenmehrheit ergibt, sollte ausgeführt werden. Ich schwöre bei dem einen, wahren Gott, es ist besser, das alle einer falschen Entscheidung zustimmen als das eine richtige Stimme herausgehoben wird, da einzelne Stimmen Quellen von Zwietracht sein können, die zum Verderben führen. Wenn sie auch in einem Falle eine falsche Entscheidung treffen, so werden sie doch in hundert anderen Fällen richtige Entscheidungen annehmen, und Eintracht und Einheit werden gewahrt. Dies wird jede Unzulänglichkeit ausgleichen und schließlich zur Berichtigung des Irrtums führen.
Der Zweck der Beratung ist, zu zeigen, das die Ansichten verschiedener Menschen ganz gewiss der eines einzelnen Menschen vorzuziehen sind, genauso wie die Kraft einer Anzahl von Menschen selbstverständlich größer ist als die Kraft eines einzelnen.
So wird Beratung in der Gegenwart des Allmächtigen annehmbar und wurde den Gläubigen zur Pflicht gemacht, damit sie sich über alltägliche und persönliche Dinge wie auch über Angelegenheiten allgemeiner und umfassender Natur beraten.
Wenn zum Beispiel jemand ein Vorhaben auszuführen hat, sollte er mit einigen seiner Brüder beraten; was zustimmungswürdig ist, wird gewiß erforscht, vor seinen Augen enthüllt, und die Wahrheit wird sichtbar werden.
In gleicher Weise sollten auf höherer Ebene die Leute eines Dorfes miteinander über ihre Angelegenheiten beraten, die richtige Lösung wird sicherlich offenbar werden.
Auf gleiche Art sollten die Angehörigen jedes Berufsstandes, die Beschäftigten in der Industrie beraten, und jene im Handel sollten ihre geschäftlichen Dinge ähnlich beraten. Kurz, Beratung ist wünschenswert und annehmbar in allen Dingen und allen Fragen.
Zitiert in einem Brief des Hüters vom 15. Februar 1922 an den Geistigen Rat von Tihrán