Leseempfehlungen
Erziehung - Dienst an der Menschheit
Ein Beitrag aus Bahá‘í-Sicht
Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.
Immanuel Kant
Wenn Erziehung und natürliche Neigungen im gleichen Verhältnis stehen, bilden sie den höheren Menschen.
Kung-fu-tse
Ohne fortschreitende Erziehung lässt sich keine Vollkommenheit erlangen.
‘Abdu‘l -Bahá
Gegenwärtig gibt es in den meisten Ländern die allgemeine Schulpflicht, und staatliche Erziehungssysteme sind weitverbreitet und sorgen für eine materielle Erziehung. Die richtige Erziehung der Kinder ist von lebenswichtiger Bedeutung für den Fortschritt der Menschheit, aber Kernstück und wichtigste Grundlage aller Erziehung ist die geistige und moralische Ausbildung. Die Bahá‘i-Lehren stellen zwar kein abgeschlossenes und ausführliches Erziehungssystem dar, sondern bieten nur bestimmte grundlegende Prinzipien an und heben eine Reihe von Erziehungsidealen hervor, welche die künftigen Bahá‘i-Erziehungswissenschaftler in ihrem Bemühen leiten sollten.
Hauptzweck der Bahá‘i-Erziehung ist, die Kinder zu befähigen, rechtschaffene Menschen zu werden, die sich in den Dienst ihrer Mitmenschen stellen. Bahá'u'lláh betrachtet Erziehung als einen der grundlegendsten Faktoren wahrer Kultur.
Erziehungswissenschaft und Religion beruhen beide auf der Annahme, daß es möglich ist, die menschliche Natur zu verändern. Es erfordert nur geringes Nachforschen, um zu zeigen, daß das Einzige, was wir mit Sicherheit über ein Lebewesen sagen können, darin besteht, daß es tatsächlich nicht ohne Wandel sein kann. Denn ohne Wandel kann es kein Leben geben.
Was ist Erziehung?
Erziehung - das ist Unterweisung und Führung der Menschen und die Entwicklung und Schulung der ihnen innewohnenden Fähigkeiten - war von Anbeginn der Welt das höchste Ziel aller Offenbarer, und in den Bahá'i-Lehren sind die grundlegende Bedeutung und die unbegrenzten Möglichkeiten der Erziehung klar und deutlich niedergelegt. Der Lehrer ist die mächtigste Triebkraft der Zivilisation, und seine Tätigkeit ist die höchste, die der Mensch zu erstreben vermag. Die Erziehung beginnt im Mutterleib und ist so endlos wie das Leben des Menschen. Sie ist eine dauernde Notwendigkeit für richtiges Leben und die Grundlage der Wohlfahrt sowohl für den einzelnen wie für die Gesamtheit. Wenn die richtige Erziehung Allgemeingut wird, dann wird die Menschheit verwandelt und die Welt friedlicher werden. Gegenwärtig gehört ein wirklich gut erzogener Mensch zu den seltensten Erscheinungen, denn nahezu jedermann hat Vorurteile, verkehrte Ideale, irrtümliche Vorstellungen und schlechte Gewohnheiten, die ihm von Kind auf anerzogen sind. Wie wenige werden von früher Kindheit an gelehrt...Dienst an der Menschheit als das höchste Lebensziel aufzufassen und die Kräfte zum Besten des Allgemeinwohls zu entwickeln. Doch dies sind sicherlich die wesentlichen Bestandteile einer guten Erziehung. 1)
Bildung allein ist nicht genug, aber sie ist sehr wichtig, denn sie ist z.B. die beste Investition in die wirtschaftliche Entwicklung der Menschheit. Damit aber die Erziehung hinlänglich und fruchtbar ist, muß sie umfassend sein, nicht nur die physische und intellektuelle Seite des Menschen berücksichtigen, sondern auch seine geistigen und ethischen Aspekte. 2)
Erziehung bedeutet also mehr als die Vermittlung einer bestimmten Menge an Wissen oder einer Reihe von Fertigkeiten, sie muss die Verstandes- und Urteilskraft schulen und dem Lernenden unverzichtbar sittliche Werte einprägen.
Dieserart umfassende Erziehung ist es, die den Menschen nicht nur in die Lage versetzt wirtschaftlichen Reichtum zu schaffen, sondern auch die Motivation schafft, diesen Reichtum als Beitrag für die Gesellschaft gerecht zu verteilen und so der weltweiten Armut entgegen zu wirken.3)
Die drei Arten der Erziehung
‘Abdu‘l-Bahá spricht von drei Arten der Erziehung: der körperlichen, der menschlichen und der geistigen Erziehung. Erstere befasst sich mit Fortschritt und Entwicklung des Körpers, indem sie materielle Erleichterungen, Behaglichkeit und Entspannung sicherstellt. Sie gilt in gleicher Weise für Mensch und Tier. Die menschliche Erziehung bedeutet Kultur und Fortschritt, nämlich Regierung, Verwaltung, Wohlfahrtseinrichtungen, Verkehr, Handel und Gewerbe, Künste, Natur- und Geisteswissenschaften, grosse Entdeckungen und Erfindungen physikalischer Gesetze. Diese Äusserungen des Menschengeistes machen den Unterschied zur Tierwelt deutlich. „Künste, Gewerbe und Wissenschaften erhöhen die Welt des Seins und tragen zu ihrer Vervollkommnung bei“, schreibt Bahá‘u‘lláh. „Wissen gleicht den Flügeln im Leben des Menschen, es ist wie eine Leiter für seinen Aufstieg; es ist jedermanns Pflicht Wissen zu erwerben. Jedoch sollten solche Wissenschaften studiert werden, die den Völkern auf Erden nützen, nicht solche, die mit Worten beginnen und mit Worten enden. 4)
Wissen ist jedoch nur dann lobenswert, wenn es mit ethischem Verhalten und tugendhaftem Charakter verbunden ist; andernfalls ist es ein tödliches Gift, eine schreckliche Gefahr. 5)
Der Mensch ist der höchste Talisman. Der Mangel an geeigneter Erziehung hat ihn jedoch dessen beraubt, was er seinem Wesen nach besitzt...
Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.
Bahá‘u‘lláh
Durch die geistige Erziehung erwirbt der Mensch geistige Vollkommenheiten. Sie ist die wahre Erziehung. Darum muss der Lehrer zugleich auch Arzt sein, das heisst, er muss, indem er das Kind unterrichtet, seine Fehler heilen. Er muss es lehren und es gleichzeitig anleiten, seine geistigen Anlagen auszubilden.
Angeborene Unterschiede in der Natur
Aus Bahá‘i-Sicht ist die Natur des Kindes nicht wie Wachs, das nach dem Willen des Lehrers unbekümmert um seine eigene Form gestaltet werden kann. Jedes einzelne der Kinder hat seine eigene Wesensart und Eigentümlichkeit, die nur in einer besonderen Weise entwickelt werden kann, und dieser Weg ist in jedem Fall einzig in seiner Art. Nicht zwei Menschen haben genau dieselben Fähigkeiten und Talente, und der wahre Erzieher wird nie versuchen, zwei Naturen in eine und dieselbe Form zu zwingen. In der Tat, er wird nie den Versuch machen, irgendeine Natur in irgendeine Form zu pressen, sondern er wird vielmehr die sich entwickelnden Kräfte des jungen Wesens ehrfurchtsvoll pflegen, sie ermutigen, beschützen und ihnen die nötige Nahrung und Hilfe zukommen lassen.
Seine Arbeit gleicht der eines Gärtners, der verschiedene Pflanzen pflegt. Eine Pflanze liebt den strahlenden Sonnenschein, die andere den kühlen Schatten; die eine liebt das Bachufer, die andere die dürre Bergesspitze; die eine gedeiht am besten auf sandigem Boden, die andere in fettem Lehm. Jede muß die ihrer Natur angemessene Pflege haben, andernfalls kann ihre Vollendung nicht völlig zum Ausdruck kommen.
Gibt es etwas Segensreicheres für den Menschen, als dass er zur Quelle der Erziehung, des Fortschritts, der Wohlfahrt und der Ehre für seine Mitmenschen wird? Die Besten sind jene, die dem Volke dienen...
‘Abdu‘l -Bahá
Die Offenbarer bestätigen, daß die Erziehung eine große Wirkung auf die menschliche Rasse ausübt“, schreibt ‘Abdu‘l-Bahá,“ aber sie erklären, daß Geist und Begriffsvermögen der Menschen ursprünglich verschieden sind. Wir sehen, daß gewisse Kinder desselben Alters, derselben Heimat und derselben Rasse, ja derselben Familie, unter der Aufsicht desselben Lehrers im Geist und in der Fassungskraft verschieden sind....Das heißt, die Erziehung verändert das Wesen der Natur des menschlichen Edelsteins nicht, aber sie bringt eine wunderbare Wirkung hervor. Durch diese gestaltende Kraft werden alle in der menschlichen Wirklichkeit verborgenen Tugenden und Fähigkeiten ans Licht gebracht.« 6)
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Antoine de Saint-Exupéry
Lasst den Lehrer ein Arzt des kindlichen Charakters sein, so wird er die geistigen Leiden der Kinder der Menschheit heilen.
‘Abdu‘l -Bahá
Sittliche Erziehung setzt den sittlichen Erzieher voraus.
Pestalozzi
Das Wesen des Kindes
„Das Kind ist ein Geschöpf, das entstanden ist aus Liebe, schreibt Dr. Fari Khabirpour, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut : «Mit Liebe ist hier nicht nur die Liebe zwischen zwei Menschen gemeint, sondern die schöpferische Kraft, die Entstehung und Wachstum ermöglicht. Doch selbst wenn die beiden Elternteile sich nicht geliebt haben, ist es die Liebe der Mutter, die das Kind in sich trägt, welche dem Kind die Kraft gibt zu überleben. Doch es ist nicht nur ein Körper, der geschaffen wird, sondern viel mehr. Die Kraft und der Willensakt, die das Kind aufbringt, um zu wachsen, kommen nicht nur aus seinen eignen Körperzellen heraus. Die Nahrung der Mutter allein genügt nicht, um aus dem Fötus einen voll entwickelten Menschen zu machen. Es steckt eine andere Kraft dahin t er, eine unsichtbare Macht, die bestimmt, dass aus dem »Liebesakt » zweier Menschen ein neuer Mensch entsteht. Diese Kraft ist es, die, obwohl unsichtbar, dem Menschen das Leben ermöglicht. Sie schafft Hoffnung, Freude, Trauer, Angst, Liebe und andere Realitäten, deren Wirklichkeit mit den biologischen Sinnen nicht wahrnehmbar und greifbar, jedoch messbar ist.
Diese unsichtbare Dimension ist das geistige Wesen des Kindes, das jedem Menschen seine Daseinsberechtigung als gleichwertiges Mitglied der menschlichen Gemeinschaft gibt. Es verhilft, von dem Körper, der Hautfarbe, der Nationalität oder der Religion des Menschen abzusehen und das unsichtbare in ihm zu betrachten, das, wovon Antoine de Saint-Exupéry sagt : « Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar ».
Dieses Wesentliche ist es, was jeder hat, ob arm oder reich, krank oder gesund, brav oder frech, glücklich oder traurig. Darin ist die Liebe des Menschen verborgen, seine Kraft und seine Verbindung zu seinem Schöpfer. Dieses « unsichtbare Wesentliche » ist es, was jeden Menschen liebenswert und jedes Leben lebenswert macht. 7)
„Das Bahá‘i-Erziehungskonzept basiert darauf, dass der Mensch seinem Wesen nach ein geistiges Geschöpf ist, schreibt Martine Castagna-Schoos, Dipl. Pädagogin – und Dipl. Psychologin. „Unser jetziges Erziehungssystem fusst eher auf reiner Bildungsvermittlung und weniger auf dem Verständnis einer gegenseitig verbundenen und abhängigen Welt. Diese Einsicht sollte sowohl den Kindern als auch den Erwachsenen näher gebracht werden. Konsequenzen für die Pädagogik ergeben sich daraus, dass Bildungserwerb nicht länger nur ein Mittel zur finanziellen Bereicherung, sondern vielmehr als Beitrag zur Entwicklung des Individuums und zur Förderung einer gerechten Gesellschaft angesehen wird. Wenn Erziehung und Bildung Hand in Hand gehen mit wissenschaftlicher Erkenntnis, technischem „know-how“ und dazu noch durch moralische Kräfte unterstützt werden, dann werden sie Früchte tragen.
Individuelle Fähigkeiten und kreative Kräfte werden am besten gefördert durch den Dienst an der Menschheit und den Einsatz für den Frieden. Dies sollte jedem Erzieher stets gegenwärtig sein. Jedoch reicht das reine Wissen um geistige Prinzipien nicht aus, um individuelles Wachstum und gesellschaftlichen Wandel zu garantieren, denn letzteres erfordert Übung und das Einsetzen von Willenskraft. Erzieher sollten die feste Überzeugung haben, dass nicht das Streben nach Geld und Macht vorrangig ist, sondern menschliche Würde, Selbstrespekt, noble Vorsätze, Integrität und moralische Qualitäten.“
„Was wir brauchen, ist eine Entwicklungserziehung im wahrsten Sinne desWortes, die sowohl auf die menschliche als auch auf die soziale und wirtschaft-liche Entwicklung ausgerichtet ist. Als Pädagoge hat man zwei Aufgaben: neben reiner Wissensvermittlung, die auf dem letzten Stand der Wissenschaft basiert, muss man den Schülern moralisch-geistiges Vorbild sein, damit sie ihre Persönlichkeit entwickeln und festigen können. Geistige Tugenden wie:
Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Vertrauenswürdigkeit sollten vorgelebt werden; dassind die vordringlichsten Aufgaben eines jeden wahren Pädagogen. DasErreichen dieses Zieles erfordert Nachdenken, Weiterdenken und Umdenken. Soverstanden ist Pädagogik ein unersetzlicher Dienst an der Menschheit“.8)
Schulschwierigkeiten, warum?
„Stellt man fest, dass Kinder regelmässig Mängel in bestimmten schulischen Fächern haben, so darf das nicht als Mangel an Intelligenz oder Begabung gedeutet werden“, schreibt Dr.Fari Khabirpour. „Schulischer Misserfolg bedeutet lediglich, dass das Kind mit der Art, wie in der Schule Wissen vermittelt wird, nicht zurecht kommt. Dies kann an der Schulatmosphäre oder am System liegen, das hauptsächlich auf Lohn und Strafe aufbaut. Viele Kinder kommen mit der Bewertung, die in der Schule erfolgt, nicht zurecht. Andere brauchen mehr Zeit. Wiederum andere können nicht in grossen Gruppen lernen. Unser konventionelles Schulsystem erlaubt aber keine besonderen Lerngewohnheiten. Wer mit der Schule nicht zurechtkommt, kommt daher auf die Sonderschule. Wer aber auf der Sonderschule ist, gilt als minder begabt und weniger intelligent, schnell wird er zum Sonderling in allen Lebensbereichen.
Jedes Kind könnte das Licht der Welt sein – und ebenfalls ihre Finsternis.
‘Abdu‘l -Bahá
Liebe und Freundlichkeit haben weit grösseren Einfluss auf die Veredelung des menschlichen Charakters als Bestrafung.
Shoghi Effendi
So gibt es Kinder, die besser visuell lernen, d.h. sie können über das Auge Informationen aufnehmen und verarbeiten. Diese Kinder müssen alles, was sie lernen sollen, entweder in Form von Schrift, Bildern, Theater oder anderen Darstellungen sehen. Andere Kinder lernen am besten auditiv. Sie nehmen Lernstoff über das Gehör auf. Einen Text zu lesen, ohne ihn zu hören, hilft ihnen nicht, um ihn zu verstehen. Diesen Kindern muss man den Lernstoff erzählen; mit ihnen muss viel gesprochen werden. Wiederum andere Kinder lernen über das Gefühl. Sie können Lernstoff nur dann aufnehmen, wenn die Atmosphäre stimmt. Haben sie kein gutes Gefühl oder sind sie in schlechter Stimmung, ist es völlig sinnlos, sich zu bemühen, diesen Kindern etwas beizubringen. Sie sind dann völlig blockiert....All diesen verschiedenen Lernstilen wird das konventionelle Schulsystem nicht gerecht. Kann man da dem Kind einen Vorwurf machen? 9)
„Lernen hängt grösstenteils vom Wunsch zu lernen ab“, schreibt Martine Castagna-Schoos. „Deshalb ist es wichtig, dass der Lehrer fähig ist, seinen Stoff interessant zu gestalten. Er muss bei allen Kindern ein echtes Interesse hervorrufen, wenn er möchte, dass sie Fortschritte machen. Dies klappt nur, wenn er selber von seiner Aufgabe begeistert ist. Viele Erwachsene leiden unter Fehlentwicklungen als Ergebnis ihrer ersten Erfahrungen in der Schule, weil sie damals von ihren Lehrern das Gefühl vermittelt bekamen, Versager zu sein. Wenn einem Schüler gesagt wird, dass er weniger intelligent sei als seine Mitschüler, so bedeutet das eine grosse Beeinträchtigung und ein Hindernis für seinen Fortschritt. Er muss ermutigt werden voranzuschreiten. Die Verantwortung liegt aber nicht nur allein beim Lehrer, auch die Kinder selbst müssen sich aufs Äusserste bemühen gut in der Schule zu lernen.“ 10)
Das Kind braucht Ermutigung so nötig, wie die Pflanze das Wasser.
Erik Blumenthal
Strafen können zum Schweigen bringen, aber sie können nicht überzeugen.
Samuel Johnson
Mut statt Angst
Die meisten Schwierigkeiten beruhen auf irgendeiner Form von Entmutigung. Deshalb ist es die Pflicht der Eltern und Lehrer das Selbstvertrauen des Kindes zu stärken, denn das Bedürfnis nach Ermutigung und Anerkennung ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Gelobt werden sollen die lobenswerten Versuche und Taten des Kindes, nicht aber das Kind selbst. Solche Art der Ermutigung ist nötig für die Entwicklung des Charakters. Beschimpfungen, Drohungen und körperliche Bestrafung sind hingegen kein Mittel der Erziehung, da sie den Charakter des Kindes völlig verderben.
„Kinder lernen aus Strafen, dass Macht gleich Recht ist“, schreibt Martine Castagna-Schoos. „Wenngleich Bestrafung erreicht, dass ein Kind im Zaume gehalten wird, so trägt dies nicht dazu bei, dass es lernt sich selbst zu beherrschen. Jedes Kind reagiert zwar anders auf Bestrafung, abhängig von seiner Persönlichkeit und der jeweiligen Erzieher-Kind-Beziehung. Dennoch nehmen es die meisten Kinder ihren Eltern übel, wenn sie bestraft werden, und je mehr sie ihre Eltern lieben, desto mehr fühlen sie sich beleidigt und gedemütigt. Angst vor Strafe kann zwar unrechtes Tun verhindern, es kann aber nicht bewirken, dass das Rechte getan wird.“ 11)
„Eine ermutigende Erziehung vermittelt Mut statt Angst“, schreibt Dr. Fari Khabirpour. „Hier zeigen Erzieher folgende Einstellung:‘ Ich glaube daran, dass du es schaffen wirst‘ oder ‚Ich freue mich, dass du dies so gut gemacht hast.‘. Sie ermutigen und loben das Kind aus einer richtigen Überzeugung heraus. Ist diese Ermutigung ehrlich, so ist sie ein spontanes Gefühl des Vertrauens oder des Lobes. Sie wird nicht geplant oder benutzt, um dem Kind ein gutes Gefühl zu geben. Wird sie jedoch als Strategie verwendet, spürt das Kind es sofort und wird dadurch eher entmutigt.“ 12)
Charakterbildung
Das allerwichtigste in der Erziehung ist die Charakterbildung. Hierbei wirkt das Vorbild mehr als die Vorschrift. Das Leben und der Charakter der Eltern und der Lehrer, sowie die Umwelt, sind Faktoren von allergrösster Wichtigkeit. Schulen müssen gleichzeitig Ausbildungszentren für Verhalten und Betragen sein. Wenn ein Kind dazu erzogen wird, höflich, hilfsbereit, freundlich, vertrauenswürdig zu sein, kann es dabei helfen, Vorurteile abzubauen und damit die Welt friedlicher gestalten. Kinder setzen sich z.B. leichter über Klassen- oder Rassenvorurteile hinweg und helfen so den Erwachsenen Vorurteile abzubauen.
Eltern und Erzieher suchen oft nach Richtlinien, die es ihnen erlauben, die geistigen Anlagen der Kinder zu erschliessen. Die Bahá‘i treten weltweit dafür ein, dass Lehrpläne zur Förderung der ethischen Erziehung entwickelt und in alle Schulprogramme aufgenommen werden. Eine gewisse Disziplin, körperlich, sittlich oder geistig, ist unumgänglich und keine Ausbildung kann als vollständig und fruchtbar angesehen werden, wenn sie all dies nicht beachtet. Geschähe dies, so würde der Respekt zwischen Lehrern und Schülern ein freundlicheres Klima in den Klassenzimmern schaffen. Dabei könnten ganz einfache Regeln am Anfang stehen, z.B., dass redliches Verhalten, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit die Grundlage sind für Beständigkeit und Fortschritt, dass alles menschliche Streben von Uneigennützigkeit geleitet sein sollte, so dass Aufrichtigkeit und Achtung für die Rechte der anderen wesentlich das Handeln eines jeden Menschen bestimmen, und dass der Dienst an der Menschheit die wahre Quelle von Glück, Ehre und Sinn im Leben ist. 13 )
Der Vorschlag, besonders für sittliche Werte in der Erziehung einzutreten, mag umstritten sein in einer Zeit, da alles beliebig ist. Aber es bestehen doch Werte, die seit jeher von geistig orientierten Gemeinschaften und Systemen gelehrt werden und das Grundgerüst für sittliche Entwicklung bilden. Dazu gehört die Religion – darunter verstehen wir Bahá‘i den Wesenskern, die Wirklichkeit der Religion, nicht die Dogmen und blinden Abbilder, die sie allmählich überkrustet haben. Bei diesem Religionsverständnis verwundert es kaum, dass ‘Abdu‘l-Bahá den Rat erteilt, die Kinder zuerst in den geistigen Werten der Religion zu erziehen. Er setzt hinzu: „ aber dies muss auf eine Weise geschehen, dass den Kindern weder durch blinden Fanatismus noch durch Frömmelei geschadet wird.“ 14)
„Das Kind ist ein Wesen, das nach wie vor mit seinem Schöpfer verbunden ist“, schreibt Dr. Fari Khabirpour. „Diese Verbindung ist jedoch nicht verkrampft und beschränkend, sondern eine lebensspendende und erwärmende Beziehung. Es bietet sich an, den Schöpfer mit der Sonne zu vergleichen. Sie ist eine unabhängige Energiequelle, die zu jeder Zeit Licht und Wärme spendet. Obwohl der Mensch das genaue Wesen der Sonne nicht kennt, vertraut er immer darauf, dass sie nie verschwinden wird, denn Leben und Wachstum auf der Erde sind ohne Verbindung zu dieser Quelle unmöglich. Ein natürlicher Gottesbegriff lässt sich von diesem Beispiel ableiten... Wenn Eltern sich von dem klassischen Gottesbegriff befreien können, erlauben sie damit auch ihrem Kind, das gesunde und positive Verhältnis zu seinem Gott zu bewahren...“ 15)
Allem traditionellem Denken entgegengesetzt, raten die Bahá‘i-Schriften den Eltern, im Fall finanzieller Schwierigkeiten, den Mädchen den Vortritt bei der Erziehung und Bildung zu geben. Dies ist besonders wichtig für arme Länder, in denen vorwiegend Frauen Analphabeten sind. „ Frauen, um jetzt einmal zu verallgemeinern“, schreibt Martine Castagna-Schoos, „besitzen in der Regel, und zwar in einem entwickelteren Grad als Männer, einige Eigenschaften, die in Zukunft in der Welt vermehrt benötigt werden: grössere Sensibilität, Intuition, Hingabe- und Aufopferungsfähigkeit... Wenn die zukünftige Welt von Friede, Solidarität und Liebe und nicht mehr von Krieg, Wettbewerb und Egoismus geprägt sein soll, dann müssen die Frauen eine führende Rolle in der Vorbereitung dieser Zukunft spielen. Deshalb ist ihre Erziehung so wichtig. Ein weiterer Grund dafür, dass Frauen eine gute Erziehung geniessen sollen, besteht darin, dass eine gebildete Mutter ihre Kinder besser erziehen kann, denn der Volksmund sagt schon: „Die Hand, die die Wiege bewegt, bewegt die Welt “. 16)
Quellennachweis:
1) ‘Abdu‘l-Bahá, vergl. Esslem.S.97
2) vergl. Sh.Effendi, 9.Juli 1931, Brief an einen Gläubigen
3) vergl. BIC, Wendezeit für die Nationen, S.21
4) Bahá‘u‘lláh, Brief S.W.S.38-39
5) ‘Abdu‘l-Bahá, Ziele der Kindererziehung, S.58
6) ‘Abdu'l-Bahá, TAB III, p.577
7+9+12+15) Dr.Fari Khabirpour, Nadi Hofman, Halt mich fest und lass mich los, Horizonte-Verlag, Stuttgart, 1998
8+10+11+16) Martine Castagna-Schoos, Erziehung aus Sicht des Bahá‘i- Glaubens, auf - gezeigt am Modell derAnis-Zunuzi-Schule auf Haiti, Diplomarbeit zurErlangung des Grades eines Diplom Pädagogen an der Pädagogischen Fakultät derRheinisch Friederich Wilhelm Universität, Bonn, 1989
13) vergl. BIC, Wendezeit fürdie Nationen, S.28
14) ‘Abdu‘l-Bahá, Ziele derKindererziehung, S.12
Quelle: Zeit für Geist 26.2.2002
Herausgeber:” Baha’i-Arbeitsgruppe “Gedanken für eine bessere Welt ”,a.s.b.l
Ziele der Zeitung:
Völkerverständigung und Weltbürgerethos; Brücken bauen zu andern Glaubens- und Denkrichtungen; Impulse geben zu fried-
licher Zusammenarbeit mit allen andern Gruppen deren Interessen in die gleiche Richtung gehen; informieren über Vorstellung en,
Ziele, Pläne und Früchte der Baha’i - Religion, hier und in der Welt, über andere Religionen und den Wert der Religion schlechthin;
Dialog - und Begegnungsmöglichkeiten schaffen.
Verantwortlich für die veröffentlichten Artikel: die Autoren. Für Text- und Artikelauswahl : die Redaktion.
Lage und Entwicklung der Situation der Bahá'í im Iran - Juni 2016
Der private Besuch der Tochter eines einflussreichen Ayatollahs bei einer Bahai erschüttert das Weltbild des konservativen Klerus im Iran.
Ein interessanter Audio-Beitrag aus der Mediathek vom Hörfunksender Deutschlandradio gesendet am 01.06.2016.
http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=3&audioID=459614&state=
Unterdrückung von Minderheiten - Hafturlaub für Bahai im Iran - Textbeitrag
Wittener Bahá’í erhalten neues Zentrum
Witten. Zum 1. November eröffnet das erste religiöse Zentrum der Bahá’í in Witten. Das Ehepaar Böller-Hesse erklärt, was der Glaube für sie bedeutet.
Lesen Sie den vollständigen Presse-Artikel in der WAZ-Online vom 24.10.2017:
200. Geburtstag
„Gefühl von weltweiter Solidarität“ – Wittener Bahá’í feiern 200. Geburtstag ihres Religionsstifters
Witten, September 2017 - Vor 200 Jahren wurde der Stifter der jüngsten Weltreligion geboren. In diesem Herbst begehen mehr als sieben Millionen Bahá‘í weltweit sein Jubiläum.
Mehr als sieben Millionen Bahá‘í weltweit begehen im Herbst ein besonderes Ereignis vor. Am Wochenende des 21./22. Oktober 2017 feiern sie in rund 100.000 Orten in allen Ländern der Welt den 200. Geburtstag ihres Religionsstifters, Bahá’u’lláh (dt. „Herrlichkeit Gottes“, 1817-1992).
Die über 6000 Bahá’í in Deutschland begehen in allen Teilen des Landes dieses Jubiläum. Gemeinsam mit ihren Familien, Freunden, Nachbarn und Kollegen erinnern die Bahá’í anlässlich dieses Feiertages daran, welche Rolle das Leben und die Lehren Bahá’u’lláhs im Leben des Einzelnen und der Gesellschaft spielen.
Auch die Bahá’í-Gemeinde Witten lädt alle Bürger herzlich ein, mit ihr dieses besondere Ereignis zu feiern und seine Lehren und die Bahá’í-Gemeinde näher kennenzulernen.
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Bahá’u’lláh wurde 1817 in Teheran als Sohn eines Ministers geboren. Die ihm offenstehenden Ämter lehnte er ab und entschied sich stattdessen, sich den Belangen der weniger Privilegierten zu widmen, weshalb er bereits in jungen Jahren als „Vater der Armen“ bekannt wurde. Die von Bahá’u’lláh gestiftete Bahá’í-Religion stellt das jüngste Glied in der Reihe der Weltreligionen dar. Ihre Lehren gehen davon aus, dass die ganze Menschheit eine Einheit in der Vielfalt bildet. Nur durch eine an dieser Einheit orientierte geistig-spirituelle Ausrichtung des Einzelnen lässt sich verhindern, dass sich die Menschheit auseinanderentwickelt und den Weltfrieden weiter gefährdet.
Mit den bevorstehenden Feierlichkeiten würdigt die Bahá’í-Gemeinde nicht nur den 200. Geburtstag Bahá’u’lláhs am 22. Oktober, sondern auch seinen Vorläufer, den Báb (dt. „das Tor“, 1819-1850), dessen Geburtstag auf den 21. Oktober fällt.
Tausende von Zusammenkünften, Feiern, soziale Projekte und künstlerische Aktionen, die das Leben Bahá’u’lláhs und seine einzigartige Mission in vielfältiger und kreativer Weise würdigen, zeugen von der weltweiten Dimension des Jubiläums. Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, religiösen Hintergrunds und Nationalität kommen zusammen, um zu erkunden, wie sie gemeinsam Bahá’u’lláhs Prinzipien der Einheit der Menschheit, des Friedens und der Gerechtigkeit fördern und in die Gesellschaft hineintragen können.
Stimmen aus der Wittener Gemeinede: „Das Gefühl gemeinsamen Erlebens und weltweiter Solidarität wird ein außergewöhnliches Merkmal der Feiern sein. In einer Zeit, in der Religion kritisch und teilweise abwertend betrachtet wird, soll das Jubiläum auch eine Gelegenheit bieten, über die positiven Auswirkungen zu sprechen, die Religion auf die Gesellschaft hat und wie sie Impulse geben kann, die Zukunft mitzugestalten. Dazu gehört auch, dass die Menschen verschiedener Glaubensrichtungen nicht aufgeben, im offenen und ehrlichen Dialog und in Interaktion miteinander zu stehen“, sagt Jochen.
„Heute benötigen wir mehr denn je positive Modelle des gesellschaftlichen Wandels, die die Menschen zusammenführen anstatt sie einander zu entfremden“, sagt Jochen Kowalski, ein Mitglied der Wittener Gemeinde.
Der Báb – das Tor
Im Jahr 1844 erhob der Báb (dt.: „Das Tor“, 1819-1850) den Anspruch, Stifter einer neuen Religion zu sein. Er brach mit alten islamischen Traditionen. Er forderte u.a. mehr Frauenrechte, Schulbildung für alle und stellte die Rolle des Klerus in Frage. Zudem betonte er die Einheit der Religionen sowie ihre aufeinander bauende Natur. Der Báb erklärte, Vorbote eines neuen Zeitalters der Gerechtigkeit zu sein. Durch seinen Bruch mit alten Traditionen bahnte der Báb den Weg für eine neue göttliche Botschaft. Bahá’u’lláh beanspruchte im Jahr 1963, dieser Bote Gottes zu sein.
Bahá’u’lláh – Stifter der Bahá’i-Religion
Bahá’u’lláh bedeutet „Herr der Herrlichkeit“. In ihm sehen die Bahá’í jene Person auf die der Báb in seiner Sendung hinwies. Bahá’u’lláh brachte den Menschen eine neue Botschaft von Gott, die der ganzen Menschheit den Weg zeigt, global in Frieden zusammen zu leben. – eine Botschaft, die der Menschheit verhilft in einer global in Frieden lebenden Welt zusammen zu leben.
In tausenden Versen, Büchern und Schriftbänden offenbarte Bahá’u’lláh einen Wegweiser, der die Menschheit dabei unterstützt, den heutigen gesellschaftlichen großen Herausforderungen auf dem Weg zu einer Einheit der Menschheit zu begegnen und eine geistig-spirituell ausgerichtete Zivilisation und materiell blühende Gesellschaft aufzubauen.
Bahá’u’lláh zählte zunächst zu den Anhängern des Báb, bis er 1853 - bereits in Kerkerhaft in Teheran - durch eine Vision Seine Berufung als der vom Báb angekündigte göttliche Verheißene und Erneuerer der Religion erfuhr. Kurz danach begannen vierzig Jahre des Exil, der Gefangenschaft und Verfolgung. Von Persien aus führte sein Verbannungsweg über Bagdad, Konstantinopel, über den Bosporus nach Adrianopel auf den europäischen Kontinent und schließlich nach ´Akká an der Bucht von Haifa im Heiligen Land, der letzten Station Seines Wirkens.
Bahá’u’lláh richtete Sendschreiben an die Herrscher der damaligen Zeit, darunter der deutsche Kaiser Wilhelm I., und rief sie auf, für die Vereinigung des Menschengeschlechts zu wirken. Sein Ruf stieß bei den Monarchen des 19. Jahrhunderts auf taube Ohren. Seine Botschaft verbreitete sich jedoch in allen Ländern und prägt heute das Bewusstsein von Millionen Menschen aus mehr als 2100 Ethnien, aus allen Kulturen und Nationen der Erde.
Was hat Bahá’u’lláh gelehrt?
• Gottesbild
Nach den Bahá’í-Lehren gibt es nur einen Gott. In den jeweiligen Kulturen und Religionen werden ihm lediglich verschiedene Namen und Eigenschaften zugeschrieben. Bahá’u’lláh erklärt, dass das Wesen Gottes nicht beschreibbar oder fassbar ist. Der Mensch ist Geschöpf, und das Geschöpf vermag seinen Schöpfer nicht zu erkennen. Obwohl das Wesen Gottes dem Menschen verborgen bleibt, kann er durch seine Sinne und geistig-spirituellen Kräfte Einblick in göttliche Eigenschaften erlangen. Diese zeigen sich als Zeichen Gottes überall in der Schöpfung, so auch in der Natur oder in den Eigenschaften von Menschen, wenngleich in unvollkommener Weise.
• Die Rolle der Gottesoffenbarer
Durch die Gottesoffenbarer findet der Mensch Zugang zu Gott. Moses, Buddha, Christus, Muhammad oder Bahá’u’lláh gehören zu diesen Boten. Sie können mit reinen Spiegeln verglichen werden, die das Licht der Sonne Gottes widerspiegeln und seine Botschaft verkünden. Die Lehren, die den Gottesboten vermitteln, helfen dem Menschen, Gottes Willen und seine Eigenschaften wie Liebe, Barmherzigkeit, Macht oder Gerechtigkeit, zu erkennen.
• Einheit der Menschheit
Das Thema „Einheit“ bildet den Kern aller Bahá’í-Lehren; ihr Ziel ist, die Einheit der Menschheit zu verwirklichen. Die lange Entwicklungsgeschichte brachte eine überwältigende menschliche Vielfalt hervor. Doch trotz dieser Unterschiede gehören alle zur menschlichen Familie. Die Bahá’í-Schriften betonen, dass Vielfalt einen großen Schatz darstellt. Verschiedenheit rechtfertigt weder Überheblichkeit, noch Streit oder gar Krieg – im Gegenteil: Vielfalt ist eine Quelle der Freude.
• Einheit der Religionen
Bahá’u’lláh betont die Einheit der Religionen. Demnach stammen alle Religionen vom selben Gott. Bahá’u’lláh erklärt, dass alle Religionsstifter die gleichen, ewigen Grundwahrheiten verkünden, doch verkündet auch jeder Gottesoffenbarer neue Lehren, die den Umständen, Bedürfnissen und Nöten der jeweiligen Zeit entsprechen. Jede Religion bringt der Menschheit neue Impulse und fördert ihre weitere Entwicklung. Dementsprechend bauen die Lehren der Gottesoffenbarer aufeinander auf. Das Ziel aller Religionen ist, „eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen“. Die Bahá’í glauben, dass nach Bahá’u’lláh nach Ablauf einer großen Zeitspanne auch weitere Gottesoffenbarer erscheinen werden.
• Frei sein von Vorurteilen
Die Bahá’i-Schriften fordern den Abbau von Vorurteilen und betonen, dass alle Menschen „aus dem gleichen Staub“ erschaffen wurden, „damit sich keiner über den anderen erhebe“.
Zitate aus den Heiligen Schriften der Bahá’í:
„Eine andere Lehre Bahá’u’lláhs ist, dass religiöse, rassische, politische, wirtschaftliche und vaterländische Vorurteile den Bau der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile herrschen, wird die Menschenwelt keine Ruhe finden.“
„Das politische Vorurteil es ebenso verderblich. Es ist eine der größten Ursachen bitteren Streites unter den Menschenkindern. Es gibt Menschen, die sich freuen, wie sie Zwietracht stiften, die sich dauern bemühen, ihr Land in den Krieg mit anderen Nationen zu hetzen. Und warum? Sie vermeinen, ihrem eigenen Land zum Nachteil aller übrigen einen Vorteil zu verschaffen.“
„Vorurteil jeglicher Art zerstören des Menschen Glück und Wohl. Solange sie nicht ausgeräumt sind, ist der Fortschritt der Menschheit nicht möglich.“
• Die Natur des Menschen
Nach den Bahá’í-Lehren ist der Sinn unseres Lebens, Gott zu erkennen und Ihm nahe zu kommen. Wir erkennen Gott durch Seine Offenbarer und finden die Nähe zu Ihm, indem wir unser Leben nach ihren Lehren ausrichten.
Unsere wahre Identität verbirgt sich in der vernunftbegabten Seele. Sie entsteht im Moment der Zeugung und bildet für die Dauer des diesseitigen Lebens eine Einheit mit unserem Körper. Freier Wille und Verstandeskraft befähigen uns dazu, uns selbst und unseren eigenen und den Fortschritt der Gesellschaft voranzutragen. Dafür ist eine Haltung des Dienstes gegenüber Gott und unseren Mitmenschen notwendig. Wir entwickeln uns in dieser Welt weiter bis zum Moment des Todes, in dem sich die Seele vom Körper löst und die ewige Reise zu ihrer weiteren Vervollkommnung fortsetzt.
Ursprung der Bahá’í-Religion
Die Bahá’í-Religion ist eine sich schnell ausbreitende Weltreligion, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts im heutigen Iran. Hinter dem Christentum liegt sie an zweiter Stelle in der globalen geographischen Ausbreitung. Die Bahá’í-Gemeinschaft stellt ein Abbild menschlicher Vielfalt dar. Sie setzt sich aus ca. 7,5 Millionen Gläubigen weltweit zusammen, die in mehr als 100.000 Orten leben und über 2100 verschiedene ethnische Gruppen repräsentieren.
Die Bahá’í-Gemeinde in Deutschland
Die Geschichte der deutschen Bahá’í-Gemeinde nahm vor über 100 Jahren ihren Anfang, als 1905 der erste Bahá’í nach Deutschland kam. Für die frühen deutschen Gläubigen war die Begegnung mit `Abdu’l-Bahá, dem Sohn Bahá’u’lláhs, der 1913 Stuttgart besuchte, ein großer Impuls. So entfaltete sich eine lebendige Gemeinde und seither engagieren sich Bahá’í hierzulande für Verständigung und Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ihr Glaube motiviert sie, sich für Projekte einzusetzen, deren Ziel es ist, Vorurteile zu überwinden und geistige, kulturelle wie soziale Entwicklung zu fördern. Ihre Inspiration beziehen sie dabei aus den Schriften und Lehren Bahá’u’lláhs.
Heilige Schriften
Bahá’u’lláh verfasste über 15.000 Schriftstücke, Sendbriefe und Bücher in arabischer und persischer Sprache, die weitgehend im Originaltext erhalten sind. Dieses umfangreiche Schrifttum enthält unter anderem Gebete, mystische Werke, Auslegungen anderer heiliger Bücher, Gesetze und Verordnungen, Schriften mit Bezug auf weltpolitische Fragen und verschiedene Wissenschaften sowie ethische Grundsätze, als Grundlage für persönlichen und gesellschaftlichen Wandel.
Andacht
Das Gebet und das Lesen von Heiligen Schriften gehören zum Alltag vieler religiöser Menschen. Im persönlichen Gespräch mit Gott wird Dank ausgedrückt oder um Beistand und Führung gebeten. Bahá’í beten gemeinsam mit ihren Freunden, Bekannten und Nachbarn – unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund – in Gemeindezentren oder privaten Wohnstätten. Bei diesen Andachtsversammlungen werden Texte aus den Heiligen Schriften der Bahá’í-Religion und anderer Religionen gelesen und rezitiert, oft gehört auch Musik zur Andacht. Das gemeinsame Beten und Zusammensein bei einer Andacht verbindet Menschen auf eine geistige Art und Weise. Die aus den heiligen Texten gewonnene Inspiration kann im Handeln ihren Ausdruck finden – sei es als Dienst am Nächsten, oder als gemeinschaftliches Handeln für das Wohl der Gesellschaft.
An der Besserung der Welt mitwirken
Bahá’u’lláh sieht die ganze Menschheit als eine Einheit und einen einzigen, unteilbaren Organismus. Mit dieser Vision engagieren sich Bahá’í gemeinsam mit ihren Freunden und zahlreichen Menschen aus ihrem Umfeld dafür, die Einheit der Menschheit in ihrer Vielfalt in kleinen Schritten sichtbar werden zu lassen. Bahá’u’lláh erläutert in Seinen Schriften dazu wesentliche Aspekte, wie die eigenständige Suche nach Wahrheit, die Gleichberechtigung von Frau und Mann, den Abbau von Vorurteilen, die Stärkung der Einheit in der Familie oder den offenen Meinungsaustausch.
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