'Abdu'l-Bahá
Freundlichkeit und Anteilnahme gegenüber Ausländern und Fremden
Freundlichkeit und Anteilnahme gegenüber Ausländern und Fremden
Ansprache von 'Abdu'l-Bahá in Paris, Oktober 1911
Ich bitte euch, denkt nicht nur an euch selbst. Seid freundlich zu den Fremden, gleichviel ob sie aus der Türkei, aus Japan, Persien, Russland, China oder irgendeinem anderen Land der Erde kommen.
Helft ihnen, sich daheim zu fühlen, erkundigt euch nach ihrer Unterkunft, fragt, ob ihr ihnen nicht irgendeinen Dienst erweisen könnt, und versucht, ihr Leben ein wenig glücklicher zu gestalten. ...
Warum sollten wir überhaupt Ausländer als Fremde behandeln? ...
Begnügt euch nicht damit, durch Worte Freundschaft zu erzeigen, lasst eure Herzen in liebevoller Freundlichkeit für alle erglühen, die eure Wege kreuzen.
O ihr, die ihr dem Westen angehört: Seid gut zu denen, die aus der Welt des Ostens kommen, um unter euch zu weilen. Vergesst in der Unterhaltung mit ihnen eure Förmlichkeiten, die ihnen ungewohnt sind. Östlichen Völkern erscheint ein derartiges Verhalten kalt und unfreundlich. Befleißigt euch vielmehr des Mitempfindens. Lasst sie fühlen, dass ihr von allumfassender Liebe erfüllt seid. Wenn ihr einen Perser oder einen anderen Fremden trefft, so redet mit ihm wie mit einem Freunde; scheint er einsam zu sein, so trachtet danach, ihm zu helfen. Leiht ihm bereitwillig eure Dienste. Wenn er traurig ist, so tröstet ihn, wenn er arm ist, unterstützt ihn, wenn er bedrückt ist, steht ihm bei, ist er im Elend, stärkt ihn. Tut ihr das, so werdet ihr nicht nur mit Worten, sondern auch durch Taten und in der Wahrheit zeigen, dass ihr alle Menschen als Brüder anseht.
Was kann es nützen, zuzustimmen, dass weltumfassende Freundschaft gut ist, und von der Gemeinschaft der menschlichen Rasse als von einem hohen Ziel zu reden? Solange derartige Gedanken nicht zu Taten werden, sind sie wertlos.
Das Unrecht in der Welt besteht gerade deshalb weiter, weil die Menschen lediglich von ihren Idealen reden und nicht auch trachten, sie in Taten umzusetzen. Würden Taten an die Stelle der Worte treten, so würde das Elend auf der Welt sehr bald in Wohlergehen verwandelt werden.
Ein Mensch, der Gutes tut und nicht darüber spricht, ist auf dem Wege zur Vervollkommnung. Wer wenig Gutes tut und es durch Reden größer macht, ist nur recht wenig wert.
Wenn ich euch liebe, muss ich nicht fortgesetzt von meiner Liebe sprechen - ihr werdet es auch ohne irgendwelche Worte wissen. Liebte ich euch hingegen nicht, so würdet ihr es gleichfalls wissen - und ihr würdet mir nicht glauben, selbst wenn ich mit tausend Worten erzählte, dass ich euch liebe.
Sei freigebig im Glück und dankbar im Unglück. Sei des Vertrauens deines Nächsten wert und schaue hellen und freundlichen Auges auf ihn. Sei ein Schatz dem Armen, ein Mahner dem Reichen, eine Antwort auf den Schrei des Bedürftigen, und halte dein Versprechen heilig. Sei gerecht in deinem Urteil und behutsam in deiner Rede. Sei zu keinem Menschen ungerecht und erweise allen Sanftmut. Sei wie eine Lampe für die, so im Dunkeln gehen, eine Freude den Betrübten, ein Meer für die Dürstenden, ein schützender Port für die Bedrängten, Stütze und Verteidiger für das Opfer der Unterdrückung. Lass Lauterkeit und Redlichkeit all dein Handeln auszeichnen. Sei ein Heim dem Fremdling, ein Balsam dem Leidenden, dem Flüchtling ein starker Turm. Sei dem Blinden Auge und ein Licht der Führung für den Fuß des Irrenden. Sei ein Schmuck für das Antlitz der Wahrheit, eine Krone für die Stirn der Treue, ein Pfeiler im Tempel der Rechtschaffenheit, Lebenshauch dem Körper der Menschheit, ein Banner für die Heerscharen der Gerechtigkeit, ein Himmelslicht am Horizont der Tugend, Tau für den Urgrund des Menschenherzens, eine Arche auf dem Meer der Erkenntnis, eine Sonne am Himmel der Großmut, ein Stein im Diadem der Weisheit, ein strahlendes Licht am Firmament deiner Zeitgenossen, eine Frucht am Baume der Demut.
'Abdu'l-Bahá
Ansprache 'Abdu'l-Bahás 1911 in Paris
Ansprache 'Abdu'l-Bahás die Er schon 1911 in Paris hielt:
37. DIE GRAUSAME GLEICHGÜLTIGKEIT DER MENSCHEN GEGENÜBER DEM LEIDEN FREMDER RASSEN
24. November 1911
'Abdu'l-Bahá sprach:
37.1 Soeben wurde mir gesagt, daß sich hier im Land ein furchtbares Unglück zugetragen hat. Ein Zug ist in den Fluß gestürzt, und mindestens zwanzig Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Dies wird heute Gegenstand einer Debatte im französischen Parlament sein, und der Direktor der Staatsbahn wird aufgefordert werden zu sprechen. Man wird ihn in ein Kreuzverhör über den Zustand der Schienen und die Ursache des Unglücks nehmen, und es wird eine erregte Erörterung geben. Ich bin erstaunt und überrascht zu sehen, welche Aufmerksamkeit und Aufregung der Tod von zwanzig Menschen im ganzen Lande wachruft, während man der Tatsache, daß Tausende von Italienern, Türken und Arabern in Tripolis getötet werden, kalt und gleichgültig gegenübersteht. Das Entsetzliche dieses Massengemetzels hat die Regierung keineswegs beunruhigt. Und doch sind auch diese unglückseligen Menschen menschliche Wesen.
37.2 Warum wendet man diesen zwanzig Wesen so viel Aufmerksamkeit und starkes Mitempfinden zu, während es bei fünftausend Personen nicht der Fall ist? Sie alle sind Menschen, sie alle gehören der Familie der Menschheit an, freilich aber anderen Ländern und Rassen. Es trifft die unbeteiligten Länder nicht, ob diese Menschen zerstückelt werden. Dieses
Massenschlachten berührt sie nicht. Wie ungerecht, wie grausam das ist, wie völlig entbehrt es aller guten und echten Gefühle! Die Menschen jener anderen Länder haben Kinder und Gattinnen, Mütter, Töchter und kleine Söhne. In jenen Ländern gibt es beute wohl kaum ein Haus, in dem man nicht bitterlich weinen hört, ist schwerlich ein Heim zu finden, das von der grausamen Hand des Krieges nicht berührt ist.
37.3 Ach, wir sehen auf allen Seiten, wie grausam, vorurteilsvoll und ungerecht der Mensch ist, wie schwerfällig im Glauben an Gott und im Gehorsam gegenüber Seinen Geboten!
37.4 Wenn diese Menschen einander lieben und helfen würden, statt darauf zu brennen, einander mit Säbeln und Kanonen zu vernichten - wie so viel edler wäre dies und wie viel besser, wenn sie wie eine Taubenschar in Frieden und Eintracht lebten, statt wie die Wölfe zu sein und einander in Stücke zu reißen.
37.5 Warum ist der Mensch so hartherzig? Das kommt daher, daß er Gott noch nicht kennt. Würde er Gott erkennen, so könnte er Seinen Geboten nicht geradezu entgegen handeln. Wäre er geistig gesonnen, so könnte er sich nicht so verhalten. Hätte man nur den Geboten und Belehrungen der Propheten Gottes geglaubt, sie begriffen und danach gehandelt, so würde das Angesicht der Erde nicht länger durch Krieg verdunkelt werden.
37.6 Beherrschte der Mensch auch nur die Anfangsgründe der Gerechtigkeit, so könnten die Dinge nicht so liegen.
37.7 Darum sage ich euch: betet und wendet euer Angesicht zu Gott, damit Er in Seinem unendlichen Mitleid und Erbarmen diesen Fehlgeleiteten helfen und beistehen möge. Betet, daß Er ihnen geistiges Verständnis schenke und sie Duldsamkeit und Barmherzigkeit lehren möge, auf daß sich das Auge ihres Gemütes öffne und sie mit der Gabe des Geistes ausgestattet werden. Dann mögen Frieden und Liebe Hand in Hand durch die Länder ziehen und diese armen, unglücklichen Menschen Ruhe finden.
37.8 Lasset uns alle Tag und Nacht danach streben, mitzuhelfen. daß die Zustände besser werden.
37.9 Mein Herz ist durch all das Furchtbare gebrochen und schreit laut auf. Möchte doch dieser Schrei in andere Herzen dringen! Dann werden die Blinden sehend werden und die Toten auferstehen, und die Gerechtigkeit wird kommen und auf Erden herrschen.
37.10 Ich bitte euch alle inständig, mit Herz und Seele zu beten, daß sich dies erfülle.
'Abdu'l-Bahá (1844 - 1921)
Bahá'u'lláhs ältester Sohn 'Abbás, bekannt als 'Abdu'l-Bahá ("Diener Bahás", 1844 bis 1921), begleitete seinen Vater auf dessen gesamtem Verbannungsweg und stand Ihm schon in jungen Jahren treu zur Seite. Häufig fungierte er auch als Repräsentant Bahá’u’lláhs. Nach dem Hinscheiden seines Vaters wurde er zum Oberhaupt der Gemeinde. Bahá’u’lláh hatte ihn in Seinem Testament dazu und zum bevollmächtigten Ausleger Seines Schrifttums ernannt. Bahá'í sehen in ihm die Ideale ihrer Religion in vorbildlicher Weise verkörpert. `Abdu’l-Bahá war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, wovon viele zeitgenössische Dokumente aus orientalischer und europäischer, muslimischer wie christlicher Feder Zeugnis ablegen.
Bei seinem Begräbnis in Haifa im Jahre 1921 nahmen nicht nur Bahá’í, sondern auch zahlreiche Repräsentanten verschiedener Religionsgemeinschaften sowie viele Bewohner Haifas teil.
'Abdu'l-Bahá war nach dem Hinscheiden seines Vaters weiter ein Gefangener geblieben. Erst im Zuge der jungtürkischen Revolution wurde er 1908 aufgrund einer Generalamnestie freigelassen. In den Jahren von 1911 bis 1913 unternahm er Reisen in verschiedene europäische Länder sowie in die USA und nach Kanada. Dort besuchte er die bereits bestehenden Bahá’í-Gemeinden und machte die Bahá'í-Religion darüber hinaus weiter bekannt. Unter anderem kam er dabei auch nach Deutschland. Im Verlauf seiner Reisen hielt `Abdu´l-Bahá u.a. Ansprachen in Kirchen, Moscheen und Synagogen und erwies sich als Botschafter des Friedens und der Verständigung zwischen den Völkern und Glaubensbekenntnissen. Das Gleiche lässt sich über sein umfangreiches Schrifttum sagen, welches unter anderem Schriftwechsel mit führenden Denkern des Orients wie Europas beinhaltet.
Zum Zeitpunkt seines Hinscheidens war der Glaube in 35 Ländern verbreitet.
Der Anfang jeder großen Religion war rein. Aber die Priester bemächtigten sich der Gemüter der Menschen und füllten sie mit Dogmen und Aberglauben, so dass die Religion allmählich verfälscht wurde. Ich komme nicht, um eine neue Religion zu lehren. Mein einziger Wunsch ist, mit Gottes Hilfe und Gnade den Weg zum Großen Licht zu weisen.
Grußwort von Markus Grübel MdB anlässlich des 100. Todestages von ʻAbdu'l-Bahá, Sohn des Religionsstifters der Bahá’í-Gemeinschaft
Am heutigen Tag gedenken Bahá’í auf der ganzen Welt dem 100. Jahrestag des Hinscheidens ‘Abdu’l-Bahás, einer Zentralgestalt in der Bahá’í-Religion.
‘Abdu’l-Bahá, 1844 in Teheran geboren, hat als ältester Sohn des Religionsstifters Bahá’u’lláh und als dessen autorisierter Nachfolger ein wichtiges Erbe hinterlassen. Nämlich, dass jeder Mensch sein Leben nutzen sollte, um zum geistigen und materiellen Fortschritt aller Menschen beizutragen. Er war bekannt und angesehen als Verfechter für soziale Gerechtigkeit und Botschafter für den internationalen Frieden. Vor allem aber war und ist er bis heute für zahlreiche Menschen weltweit das vollkommende Vorbild von Bahá'u'lláhs Lehren.
Anlässlich dieses besonderen Gedenktages erreichte die Bahá’í-Gemeinde in Deutschland ein Grußwort des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel, in dem er ‘Abdu’l-Bahás Vorbild für eine friedlichere und gerechtere Welt würdigte:
„Am 27. November jährt sich der Todestag von ʻAbdu'l-Bahá, dem Sohn Ihres Religionsstifters zum 100. Mal. Sein Andenken inspiriert bis heute viele Menschen weltweit, sich für eine friedlichere und gerechtere Welt einzusetzen, in der alle Menschen gemäß ihrer religiösen Überzeugung und ihres Gewissens leben können.
Seit ihrer Gründung 1844 in Iran hat sich Ihre Gemeinschaft für eine „Einheit in der Vielfalt“ und für ein friedliches Zusammenleben der Religionen eingesetzt. ʻAbdu'l-Bahá betonte das Potential der Religionen, sich für den Frieden einzusetzen: „Religion sollte alle Herzen vereinen und Kriege und Streitigkeiten vom Angesicht der Erde verschwinden lassen.
Ihre Gemeinschaft hat sich auch in Deutschland über viele Jahre für sozioökonomische Entwicklung, die Förderung von Frauen und die Schaffung von Bildungseinrichtungen eingesetzt. Dies zeugt von Ihrem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft. Ich freue mich, dass ʻAbdu'l-Bahá während seiner Deutschlandreise 1913 auch meinen Heimatort Esslingen besucht hat.“
Markus Grübel ging in seinem Grußwort aber auch darauf ein, dass die Bahá’í im Iran immer noch Opfer von Verfolgung und systematischer Diskriminierung sind:
„Das menschenrechtswidrige Verhalten der iranischen Regierung gegen religiöse Minderheiten können wir nicht akzeptieren. Iran muss den Weg der Toleranz, des Respekts und der Menschenrechte beschreiten. Jeder Mensch hat das Recht, seine Religion in Freiheit auszuüben.
Ihre Gemeinschaft ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Religionsvertreter sich für eine friedlichere und gerechtere Welt einsetzen, in der die Würde und die Rechte jedes Menschen geachtet werden. Das verdient unsere Wertschätzung.“