Gottesfurcht
Karin Derakhchan, April 2017
Gottesfurcht
„Vergiß nicht die Gottesfurcht und gehöre zu denen, die rechtschaffen handeln“ 1, so fordert uns Bahá’u’lláh auf und Er sagt: „... schmückt euer Herz mit der Zier der Gottesfurcht“ 2.
Aber warum tut er das? Warum fordert Er uns auf, Gott zu fürchten, sogar unser Herz mit ihr zu schmücken? Sollten wir Gott nicht eher lieben? Was versteckt sich hinter dem Begriff Gottesfurcht? Sehen wir zuerst, was Bahá’u’lláh darüber sagt, was der Vorteil für den Menschen ist, der Gott fürchtet:
„... die Gottesfurcht ist die Waffe, die ihn siegreich machen kann, das wichtigste Werkzeug, sein Ziel zu erreichen. Die Gottesfurcht ist der Schutz, der Seine Sache verteidigt, der Schild, der Sein Volk befähigt, den Sieg zu erringen. Sie ist ein Banner, das kein Mensch entwürdigen kann, eine Kraft, der keine Macht gleichkommt. Mit ihrer Hilfe und mit Seiner, des Herrn der Heerscharen, Erlaubnis sind die Gott Nahen befähigt worden, die Festungen der Menschenherzen zu bezwingen und zu erobern.“ 3
„Die Gottesfurcht war von jeher ein sicherer Schutz und eine feste Burg für alle Völker der Welt. Sie ist die Hauptursache für den Schutz der Menschheit und das vortrefflichste Mittel ihrer Erhaltung ...
Es obliegt den Königen und den geistigen Führern der Welt, sich fest an die Religion zu halten, denn 4 durch sie wird allen außer Ihm selbst Gottesfurcht eingeflößt.“Was bewirkt die Gottesfurcht im Menschen, damit sich die obigen Aussagen in der Menschenwelt
zeigen können?
Hierzu sagt Bahá’u’lláh: „Was den Menschen äußerlich wie innerlich bewahrt und ihn von Untaten abhält, war und ist die
Gottesfurcht. Sie ist des Menschen wahrer Schutz, sein geistiger Hüter. Es geziemt ihm, sich beharrlich an das zu halten, was diese höchste Gnadengabe in Erscheinung treten läßt.“ 5
„...die Gottesfurcht treibt den Menschen, sich fest an alles Gute zu halten und alles Böse zu meiden.“ 6, sie ist „der Urquell aller guten Taten und Sitten“ 7.
Die Gottesfurcht nimmt aufgrund ihrer Kraft und Auswirkung eine äußerst hohe Stufe ein:
„Die Gottesfurcht ist die Oberbefehlshaberin über die Streitmacht deines Herrn. Ihre Truppen sind hehre Tugenden und gute Taten“8 und „Anführer und Befehlshaber dieser Heerscharen ist seit je die Gottesfurcht, die alle Dinge umfaßt und beherrscht“ 9.
Und von Bahá’u’lláh wird sie im Zusammenhang mit Gerechtigkeit genannt und sogar als „das Wesen der Weisheit“ bezeichnet:
„In der Stadt Bahá’s ist die Gottesfurcht die Führerin der Heerscharen der Gerechtigkeit.“ 10
„Das Wesen der Weisheit ist die Gottesfurcht, die Angst vor Seiner Rute und Strafe, die rasche Wahrnehmung Seiner Gerechtigkeit und Seines Geheißes.“ 11
Hier könnte man fragen: Können wir ohne Gottesfurcht gerecht sein? – und: Wo läge ohne sie und der Religion der Maßstab? Es scheint, dass sich Gottesfurcht und Gerechtigkeit gegenseitig bedingen. Warum ist es weise, Angst vor Gottes Strafe und Seiner Gerechtigkeit haben?
Warum sagt ‘Abdu’l-Bahá: Es ist „...die Pflicht der Mütter, ihre Kleinen so heranzuziehen, wie ein Gärtner seine jungen Pflanzen pflegt. Tag und Nacht sollen sie sich bemühen, in ihren Kindern Glauben und Gewißheit, Gottesfurcht, Liebe zu dem Geliebten der Welten sowie alle guten Eigenschaften und Charakterzüge zu verankern.“ 12
Shoghi Effendi erklärt die beiden letzten Fragen näher:
„Vielleicht ist den Freunden nicht klar, dass die Mehrzahl der Menschen das Element der Furcht braucht, um ihr Verhalten zu disziplinieren? Nur eine relativ hochentwickelte Seele kann sich ständig allein aus Liebe diszipliniert verhalten. Die Furcht vor Strafe, die Furcht vor dem Zorne Gottes, wenn wir Böses tun, sind nötig, um die Schritte der Menschen auf dem rechten Pfade zu halten. Natürlich sollten wir Gott lieben, aber wir müssen Ihn fürchten wie ein Kind, das den gerechten Ärger und die Strafe der Eltern fürchtet; uns nicht ducken vor Ihm wie vor einem Tyrannen, sondern wissen, dass Seine Barmherzigkeit Seine Gerechtigkeit übersteigt!“ 13
„Wenn wir den Kindern die Gottesfurcht erläutern, so ist nichts dagegen einzuwenden, dass wir sie in Form von Gleichnissen lehren, so wie 'Abdu'1-Bahá oft alles lehrte. Dem Kind sollte auch verständlich gemacht werden, dass wir Gott nicht fürchten, weil Er grausam ist, sondern wir fürchten Ihn, weil Er gerecht ist. Wenn wir etwas falsch machen und Strafe verdienen, dann kann Er es in Seiner Gerechtigkeit für richtig halten, uns zu bestrafen. Wir müssen beides tun, Gott lieben und Ihn 14 fürchten.“
Bahá’u’lláh erklärt den Begriff Gottesfurcht in zwei Sätzen:
Er sagt: „Das Gesetz Gottes schützt die Diener und die Gottesfurcht hält sie von Verbotenem ab.“ Er sagt auch: Wahre Gottesfurcht (taqwá; Konnotation Frömmigkeit) ist eine der größten Gaben Gottes, und das ist die Gottesfurcht (khashíyyatu’lláh). Diese Furcht (khawf) ist nicht die Furcht vor Strafe und Züchtigung, sondern die Furcht (bím), die 15 Gunst des Schöpfers zu verlieren.“Gottesfurcht ist also die größte Gabe Gottes an den Menschen und die Angst, Gottes Gunst zu verlieren, ohne die nichts in der Schöpfung Bestand haben würde und ohne die der Mensch nicht in der Lage wäre, sich geistig – im Sinne des „Sich-Lösen vom eigenen Selbst“ – zu entwickeln. So wird auch Bahá’u’lláhs Aussage klar:
„Die Gottesfurcht war stets das Wichtigste in der Erziehung Seiner Geschöpfe.“ 16
1 Bahá’u’lláh, Ährenlese 114:3
2 Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Adas 120
3 Bahá’u’lláh, Ährenlese 126:4
4 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 6:18
5 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 7:32
6 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 8:53
7 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 8:39
8 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 8:43
9 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 8:56
10 Bahá’u’lláh, Brief an den Sohn des Wolfes, 1:195
11 Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 10:3
12 ‘Abdu’l-Bahá, Briefe und Botschaften 95
13 Shoghi Effendi, in: Ziele der Kindererziehung, S. 104
14 Shoghi Effendi, in: Ziele der Kindererziehung, S.108
15 Bahá’u’lláh, in: Payám-i-Bahá’í, Nr. 115, Zitatzusammenstellung vom Universalen Haus der Gerechtigkeit (Vorabübersetzung von kd, nicht überprüft)
16 Bahá’u’lláh, Brief an den Sohn des Wolfes, 1:50