Bahá'í und das Prinzip der Nichteinmischung in die Politik
Die Frage, bis zu welchem Grad ein Bahá'í sich öffentlich über politische und soziale Fragen äußern darf, führt unter Bahá'í zu vielen Diskussionen und intensiven Beratungen. Grundlage ist das von Shoghi Effendi verkündete Prinzip der Nichteinmischung in die Politik.
Dieses Prinzip führt immer noch gerade zu Zeiten eines Donald Trump zu Irritationen und gegenseitigen Vorwürfen unter den Freunden
Leider kommt es hier sehr häufig zu Verkürzungen, die dann Anlass zu Streit geben, z.B. der Behauptung, man dürfe keine Nachrichten sehen, weil man ja Politik "wie die Pest" zu meiden habe.
In den Leseempfehlungen befinden sich dazu zwei Texte, die sich mit der genaueren Ausgestaltung des Verhältnisses der Bahá'í zur Politik auseinandersetzen.
Beide Texte machen klar, dass die Welt so einfach nicht ist. Im Gegenteil fordern die Lehren von uns Differenzierung und eine ausgewogene Betrachtung dieses heiklen Themas.
Der erste Text ist ein Brief im Auftrag des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an einen Politikwissenschaftler zur Frage politischer Äußerungen im Allgemeinen, der andere ein Brief in Auftrag des Nationalen Geistigen Rates der Vereinigten Staaten zu den 'Women's Marches', die die Amtseinführung des US-Präsidenten begleitet haben.
1. Botschaft an einen Bahá'í zur Sozialpolitik vom 23. Dezember 2008
2. Botschaft des amerikanischen NGR vom 13. Januar 2017
Der zweite Text wurde dankenswerterweise aus dem Englischen durch einen geschätzen, der Gemeinde namentlich bekannten Freund übersetzt.
200. Geburtstag
„Gefühl von weltweiter Solidarität“ – Wittener Bahá’í feiern 200. Geburtstag ihres Religionsstifters
Witten, September 2017 - Vor 200 Jahren wurde der Stifter der jüngsten Weltreligion geboren. In diesem Herbst begehen mehr als sieben Millionen Bahá‘í weltweit sein Jubiläum.
Mehr als sieben Millionen Bahá‘í weltweit begehen im Herbst ein besonderes Ereignis vor. Am Wochenende des 21./22. Oktober 2017 feiern sie in rund 100.000 Orten in allen Ländern der Welt den 200. Geburtstag ihres Religionsstifters, Bahá’u’lláh (dt. „Herrlichkeit Gottes“, 1817-1992).
Die über 6000 Bahá’í in Deutschland begehen in allen Teilen des Landes dieses Jubiläum. Gemeinsam mit ihren Familien, Freunden, Nachbarn und Kollegen erinnern die Bahá’í anlässlich dieses Feiertages daran, welche Rolle das Leben und die Lehren Bahá’u’lláhs im Leben des Einzelnen und der Gesellschaft spielen.
Auch die Bahá’í-Gemeinde Witten lädt alle Bürger herzlich ein, mit ihr dieses besondere Ereignis zu feiern und seine Lehren und die Bahá’í-Gemeinde näher kennenzulernen.
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Bahá’u’lláh wurde 1817 in Teheran als Sohn eines Ministers geboren. Die ihm offenstehenden Ämter lehnte er ab und entschied sich stattdessen, sich den Belangen der weniger Privilegierten zu widmen, weshalb er bereits in jungen Jahren als „Vater der Armen“ bekannt wurde. Die von Bahá’u’lláh gestiftete Bahá’í-Religion stellt das jüngste Glied in der Reihe der Weltreligionen dar. Ihre Lehren gehen davon aus, dass die ganze Menschheit eine Einheit in der Vielfalt bildet. Nur durch eine an dieser Einheit orientierte geistig-spirituelle Ausrichtung des Einzelnen lässt sich verhindern, dass sich die Menschheit auseinanderentwickelt und den Weltfrieden weiter gefährdet.
Mit den bevorstehenden Feierlichkeiten würdigt die Bahá’í-Gemeinde nicht nur den 200. Geburtstag Bahá’u’lláhs am 22. Oktober, sondern auch seinen Vorläufer, den Báb (dt. „das Tor“, 1819-1850), dessen Geburtstag auf den 21. Oktober fällt.
Tausende von Zusammenkünften, Feiern, soziale Projekte und künstlerische Aktionen, die das Leben Bahá’u’lláhs und seine einzigartige Mission in vielfältiger und kreativer Weise würdigen, zeugen von der weltweiten Dimension des Jubiläums. Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, religiösen Hintergrunds und Nationalität kommen zusammen, um zu erkunden, wie sie gemeinsam Bahá’u’lláhs Prinzipien der Einheit der Menschheit, des Friedens und der Gerechtigkeit fördern und in die Gesellschaft hineintragen können.
Stimmen aus der Wittener Gemeinede: „Das Gefühl gemeinsamen Erlebens und weltweiter Solidarität wird ein außergewöhnliches Merkmal der Feiern sein. In einer Zeit, in der Religion kritisch und teilweise abwertend betrachtet wird, soll das Jubiläum auch eine Gelegenheit bieten, über die positiven Auswirkungen zu sprechen, die Religion auf die Gesellschaft hat und wie sie Impulse geben kann, die Zukunft mitzugestalten. Dazu gehört auch, dass die Menschen verschiedener Glaubensrichtungen nicht aufgeben, im offenen und ehrlichen Dialog und in Interaktion miteinander zu stehen“, sagt Jochen.
„Heute benötigen wir mehr denn je positive Modelle des gesellschaftlichen Wandels, die die Menschen zusammenführen anstatt sie einander zu entfremden“, sagt Jochen Kowalski, ein Mitglied der Wittener Gemeinde.
Der Báb – das Tor
Im Jahr 1844 erhob der Báb (dt.: „Das Tor“, 1819-1850) den Anspruch, Stifter einer neuen Religion zu sein. Er brach mit alten islamischen Traditionen. Er forderte u.a. mehr Frauenrechte, Schulbildung für alle und stellte die Rolle des Klerus in Frage. Zudem betonte er die Einheit der Religionen sowie ihre aufeinander bauende Natur. Der Báb erklärte, Vorbote eines neuen Zeitalters der Gerechtigkeit zu sein. Durch seinen Bruch mit alten Traditionen bahnte der Báb den Weg für eine neue göttliche Botschaft. Bahá’u’lláh beanspruchte im Jahr 1963, dieser Bote Gottes zu sein.
Bahá’u’lláh – Stifter der Bahá’i-Religion
Bahá’u’lláh bedeutet „Herr der Herrlichkeit“. In ihm sehen die Bahá’í jene Person auf die der Báb in seiner Sendung hinwies. Bahá’u’lláh brachte den Menschen eine neue Botschaft von Gott, die der ganzen Menschheit den Weg zeigt, global in Frieden zusammen zu leben. – eine Botschaft, die der Menschheit verhilft in einer global in Frieden lebenden Welt zusammen zu leben.
In tausenden Versen, Büchern und Schriftbänden offenbarte Bahá’u’lláh einen Wegweiser, der die Menschheit dabei unterstützt, den heutigen gesellschaftlichen großen Herausforderungen auf dem Weg zu einer Einheit der Menschheit zu begegnen und eine geistig-spirituell ausgerichtete Zivilisation und materiell blühende Gesellschaft aufzubauen.
Bahá’u’lláh zählte zunächst zu den Anhängern des Báb, bis er 1853 - bereits in Kerkerhaft in Teheran - durch eine Vision Seine Berufung als der vom Báb angekündigte göttliche Verheißene und Erneuerer der Religion erfuhr. Kurz danach begannen vierzig Jahre des Exil, der Gefangenschaft und Verfolgung. Von Persien aus führte sein Verbannungsweg über Bagdad, Konstantinopel, über den Bosporus nach Adrianopel auf den europäischen Kontinent und schließlich nach ´Akká an der Bucht von Haifa im Heiligen Land, der letzten Station Seines Wirkens.
Bahá’u’lláh richtete Sendschreiben an die Herrscher der damaligen Zeit, darunter der deutsche Kaiser Wilhelm I., und rief sie auf, für die Vereinigung des Menschengeschlechts zu wirken. Sein Ruf stieß bei den Monarchen des 19. Jahrhunderts auf taube Ohren. Seine Botschaft verbreitete sich jedoch in allen Ländern und prägt heute das Bewusstsein von Millionen Menschen aus mehr als 2100 Ethnien, aus allen Kulturen und Nationen der Erde.
Was hat Bahá’u’lláh gelehrt?
• Gottesbild
Nach den Bahá’í-Lehren gibt es nur einen Gott. In den jeweiligen Kulturen und Religionen werden ihm lediglich verschiedene Namen und Eigenschaften zugeschrieben. Bahá’u’lláh erklärt, dass das Wesen Gottes nicht beschreibbar oder fassbar ist. Der Mensch ist Geschöpf, und das Geschöpf vermag seinen Schöpfer nicht zu erkennen. Obwohl das Wesen Gottes dem Menschen verborgen bleibt, kann er durch seine Sinne und geistig-spirituellen Kräfte Einblick in göttliche Eigenschaften erlangen. Diese zeigen sich als Zeichen Gottes überall in der Schöpfung, so auch in der Natur oder in den Eigenschaften von Menschen, wenngleich in unvollkommener Weise.
• Die Rolle der Gottesoffenbarer
Durch die Gottesoffenbarer findet der Mensch Zugang zu Gott. Moses, Buddha, Christus, Muhammad oder Bahá’u’lláh gehören zu diesen Boten. Sie können mit reinen Spiegeln verglichen werden, die das Licht der Sonne Gottes widerspiegeln und seine Botschaft verkünden. Die Lehren, die den Gottesboten vermitteln, helfen dem Menschen, Gottes Willen und seine Eigenschaften wie Liebe, Barmherzigkeit, Macht oder Gerechtigkeit, zu erkennen.
• Einheit der Menschheit
Das Thema „Einheit“ bildet den Kern aller Bahá’í-Lehren; ihr Ziel ist, die Einheit der Menschheit zu verwirklichen. Die lange Entwicklungsgeschichte brachte eine überwältigende menschliche Vielfalt hervor. Doch trotz dieser Unterschiede gehören alle zur menschlichen Familie. Die Bahá’í-Schriften betonen, dass Vielfalt einen großen Schatz darstellt. Verschiedenheit rechtfertigt weder Überheblichkeit, noch Streit oder gar Krieg – im Gegenteil: Vielfalt ist eine Quelle der Freude.
• Einheit der Religionen
Bahá’u’lláh betont die Einheit der Religionen. Demnach stammen alle Religionen vom selben Gott. Bahá’u’lláh erklärt, dass alle Religionsstifter die gleichen, ewigen Grundwahrheiten verkünden, doch verkündet auch jeder Gottesoffenbarer neue Lehren, die den Umständen, Bedürfnissen und Nöten der jeweiligen Zeit entsprechen. Jede Religion bringt der Menschheit neue Impulse und fördert ihre weitere Entwicklung. Dementsprechend bauen die Lehren der Gottesoffenbarer aufeinander auf. Das Ziel aller Religionen ist, „eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen“. Die Bahá’í glauben, dass nach Bahá’u’lláh nach Ablauf einer großen Zeitspanne auch weitere Gottesoffenbarer erscheinen werden.
• Frei sein von Vorurteilen
Die Bahá’i-Schriften fordern den Abbau von Vorurteilen und betonen, dass alle Menschen „aus dem gleichen Staub“ erschaffen wurden, „damit sich keiner über den anderen erhebe“.
Zitate aus den Heiligen Schriften der Bahá’í:
„Eine andere Lehre Bahá’u’lláhs ist, dass religiöse, rassische, politische, wirtschaftliche und vaterländische Vorurteile den Bau der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile herrschen, wird die Menschenwelt keine Ruhe finden.“
„Das politische Vorurteil es ebenso verderblich. Es ist eine der größten Ursachen bitteren Streites unter den Menschenkindern. Es gibt Menschen, die sich freuen, wie sie Zwietracht stiften, die sich dauern bemühen, ihr Land in den Krieg mit anderen Nationen zu hetzen. Und warum? Sie vermeinen, ihrem eigenen Land zum Nachteil aller übrigen einen Vorteil zu verschaffen.“
„Vorurteil jeglicher Art zerstören des Menschen Glück und Wohl. Solange sie nicht ausgeräumt sind, ist der Fortschritt der Menschheit nicht möglich.“
• Die Natur des Menschen
Nach den Bahá’í-Lehren ist der Sinn unseres Lebens, Gott zu erkennen und Ihm nahe zu kommen. Wir erkennen Gott durch Seine Offenbarer und finden die Nähe zu Ihm, indem wir unser Leben nach ihren Lehren ausrichten.
Unsere wahre Identität verbirgt sich in der vernunftbegabten Seele. Sie entsteht im Moment der Zeugung und bildet für die Dauer des diesseitigen Lebens eine Einheit mit unserem Körper. Freier Wille und Verstandeskraft befähigen uns dazu, uns selbst und unseren eigenen und den Fortschritt der Gesellschaft voranzutragen. Dafür ist eine Haltung des Dienstes gegenüber Gott und unseren Mitmenschen notwendig. Wir entwickeln uns in dieser Welt weiter bis zum Moment des Todes, in dem sich die Seele vom Körper löst und die ewige Reise zu ihrer weiteren Vervollkommnung fortsetzt.
Ursprung der Bahá’í-Religion
Die Bahá’í-Religion ist eine sich schnell ausbreitende Weltreligion, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts im heutigen Iran. Hinter dem Christentum liegt sie an zweiter Stelle in der globalen geographischen Ausbreitung. Die Bahá’í-Gemeinschaft stellt ein Abbild menschlicher Vielfalt dar. Sie setzt sich aus ca. 7,5 Millionen Gläubigen weltweit zusammen, die in mehr als 100.000 Orten leben und über 2100 verschiedene ethnische Gruppen repräsentieren.
Die Bahá’í-Gemeinde in Deutschland
Die Geschichte der deutschen Bahá’í-Gemeinde nahm vor über 100 Jahren ihren Anfang, als 1905 der erste Bahá’í nach Deutschland kam. Für die frühen deutschen Gläubigen war die Begegnung mit `Abdu’l-Bahá, dem Sohn Bahá’u’lláhs, der 1913 Stuttgart besuchte, ein großer Impuls. So entfaltete sich eine lebendige Gemeinde und seither engagieren sich Bahá’í hierzulande für Verständigung und Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ihr Glaube motiviert sie, sich für Projekte einzusetzen, deren Ziel es ist, Vorurteile zu überwinden und geistige, kulturelle wie soziale Entwicklung zu fördern. Ihre Inspiration beziehen sie dabei aus den Schriften und Lehren Bahá’u’lláhs.
Heilige Schriften
Bahá’u’lláh verfasste über 15.000 Schriftstücke, Sendbriefe und Bücher in arabischer und persischer Sprache, die weitgehend im Originaltext erhalten sind. Dieses umfangreiche Schrifttum enthält unter anderem Gebete, mystische Werke, Auslegungen anderer heiliger Bücher, Gesetze und Verordnungen, Schriften mit Bezug auf weltpolitische Fragen und verschiedene Wissenschaften sowie ethische Grundsätze, als Grundlage für persönlichen und gesellschaftlichen Wandel.
Andacht
Das Gebet und das Lesen von Heiligen Schriften gehören zum Alltag vieler religiöser Menschen. Im persönlichen Gespräch mit Gott wird Dank ausgedrückt oder um Beistand und Führung gebeten. Bahá’í beten gemeinsam mit ihren Freunden, Bekannten und Nachbarn – unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund – in Gemeindezentren oder privaten Wohnstätten. Bei diesen Andachtsversammlungen werden Texte aus den Heiligen Schriften der Bahá’í-Religion und anderer Religionen gelesen und rezitiert, oft gehört auch Musik zur Andacht. Das gemeinsame Beten und Zusammensein bei einer Andacht verbindet Menschen auf eine geistige Art und Weise. Die aus den heiligen Texten gewonnene Inspiration kann im Handeln ihren Ausdruck finden – sei es als Dienst am Nächsten, oder als gemeinschaftliches Handeln für das Wohl der Gesellschaft.
An der Besserung der Welt mitwirken
Bahá’u’lláh sieht die ganze Menschheit als eine Einheit und einen einzigen, unteilbaren Organismus. Mit dieser Vision engagieren sich Bahá’í gemeinsam mit ihren Freunden und zahlreichen Menschen aus ihrem Umfeld dafür, die Einheit der Menschheit in ihrer Vielfalt in kleinen Schritten sichtbar werden zu lassen. Bahá’u’lláh erläutert in Seinen Schriften dazu wesentliche Aspekte, wie die eigenständige Suche nach Wahrheit, die Gleichberechtigung von Frau und Mann, den Abbau von Vorurteilen, die Stärkung der Einheit in der Familie oder den offenen Meinungsaustausch.
Die Auswirkungen der Offenbarung von Bahá'u'lláh auf das wirtschaftliche Leben
DAS UNIVERSALE HAUS DER GERECHTIGKEIT
1. März 2017
An die Bahá’í der Welt
Innig geliebte Freunde,
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in einer zunehmend vernetzten Welt werden die gesellschaftlichen Verhältnisse aller Völker klarer erkennbar und ihre Lebensbedingungen deutlicher sichtbar. Zwar gibt es einige Entwicklungen, die hoffnungsvoll stimmen, aber vieles sollte doch schwer auf dem Gewissen der Menschheit lasten. Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Ausbeutung zerstören das Leben der Menschheit und sind dabei scheinbar immun gegen die Maßnahmen, mit denen politische Programme gleich welcher Couleur ihnen zu Leibe rücken wollen. Das andauernde Leid so vieler Menschen gehört ebenso zu den wirtschaftlichen Folgen dieses Elends wie die tiefreichenden strukturellen Defizite in der Gesellschaft. Niemand, dessen Herz von den Lehren der Gesegneten Schönheit angesprochen wurde, kann unberührt bleiben angesichts dieser Auswirkungen. „Die Welt ist in großem Aufruhr“, stellt Bahá’u’lláh im Lawḥ-i-Dunyá fest, „und der Geist ihrer Bewohner im Zustand völliger Verwirrung. Wir flehen zum Allmächtigen, dass Er sie gnädig erleuchte durch die Pracht Seiner Gerechtigkeit und sie befähige, dessen gewahr zu werden, was ihnen zu allen Zeiten und unter allen Umständen zum Vorteil gereicht.“ Während die Bahá’í-Gemeinde danach strebt, im Denken und Handeln zur Besserung der Welt beizutragen, verlangen die widrigen Bedingungen, unter denen viele Bevölkerungsgruppen leiden, zunehmend ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wohlergehen jedes einzelnen Segments der Menschheit ist mit dem Wohlergehen des Ganzen untrennbar verbunden. Die Menschheit als ganze leidet, wenn eine Gruppe nur an ihr eigenes Wohlergehen denkt, losgelöst von dem ihrer Nachbarn, oder wenn sie nach wirtschaftlichem Gewinn strebt ohne Rücksicht auf Folgen für die Natur, die Lebensgrundlage aller. Bedeutender sozialer Fortschritt wird so hartnäckig blockiert: Immer wieder setzen sich Habgier und Eigennutz auf Kosten des Allgemeinwohls durch. Hemmungslos wird exzessiver Reichtum zusammengerafft, und die so geschaffene Instabilität wird dadurch verstärkt, dass Einkommen und Chancen innerhalb wie zwischen den Nationen derart ungleich verteilt sind. Aber das muss nicht so sein. Ganz gleich wie sehr derartige Verhältnisse historisch bedingt sind – die Zukunft müssen sie nicht bestimmen; und selbst wenn die derzeit gängigen ökonomischen Vorstellungen und Methoden der Menschheit in der Zeit ihrer Adoleszenz genügten, so sind sie doch für die anbrechende Zeit ihrer Reife schlicht unzureichend. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, an Strukturen, Regeln und Systemen festzuhalten, die ganz offenkundig nicht den Interessen aller Völker dienen. Die Lehren des Glaubens lassen hier keinen Raum für Zweifel: Aufbau, Verteilung und Verwendung von Reichtum und Ressourcen haben eine inhärente moralische Dimension.
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Aus dem andauernden Prozess des Übergangs von einer geteilten zu einer geeinten Welt ergeben sich Spannungen, die in den internationalen Beziehungen ebenso zu spüren sind wie in den sich vertiefenden Rissen, die kleine wie große Gemeinschaften spalten. Da die vorherrschenden Denkweisen offensichtlich unzureichend sind, braucht die Welt dringend eine gemeinsame Ethik, ein festes Rahmenwerk, um den Krisen begegnen zu können, die sich wie Gewitterwolken auftürmen. Die Vision Bahá’u’lláhs stellt viele der Annahmen infrage, die man den derzeitigen Diskurs bestimmen lässt – beispielsweise, dass Eigennutz nicht etwa gezügelt werden sollte, sondern vielmehr den Wohlstand fördert, und dass Fortschritt davon abhängig ist, dass sich dieser Eigennutz in erbarmungsloser Konkurrenz äußert. Den Wert eines Menschen hauptsächlich danach zu bemessen, wie viel Vermögen er im Vergleich zu anderen anhäufen und wie viele Waren er konsumieren kann, ist dem Bahá’í-Denken vollkommen fremd. Aber die pauschale Ablehnung von Reichtum als in sich widerwärtig und unmoralisch findet in den Lehren ebenso keine Zustimmung, und Askese ist untersagt.
Reichtum muss der Menschheit dienen. Seine Verwendung muss geistigen Prinzipien entsprechen; es müssen Systeme geschaffen werden, die solchen Prinzipien folgen. In den erinnerungswürdigen Worten Bahá’u’lláhs: „Kein Licht gleicht dem Licht der Gerechtigkeit! Sie bewirkt Ordnung in der Welt und sichert die Ruhe der Völker.“
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Obwohl Bahá’u’lláh in Seiner Offenbarung kein detailliertes Wirtschaftssystem entworfen hat, durchzieht das Thema der Reorganisation der Gesellschaft das gesamte Korpus Seiner Lehren wie ein roter Faden. Die Betrachtung dieses Themas führt unweigerlich zu Fragen bezüglich der Wirtschaft. Selbstverständlich ist die künftige, von Bahá’u’lláh vorgesehene Ordnung weit jenseits all dessen, was sich die gegenwärtige Generation vorstellen kann.
Gleichwohl bedarf ihre letztendliche Verwirklichung der unermüdlichen Anstrengungen Seiner Anhänger, Seine Lehren schon heute in die Tat umzusetzen. In diesem Sinne hoffen wir, dass die nachfolgenden Ausführungen eine tiefschürfende, anhaltende Reflexion unter den Freunden anstoßen. Das Ziel ist zu lernen, in den materiellen Angelegenheiten der Gesellschaft in einer Weise mitzuwirken, die den göttlichen Geboten entspricht, und wie, ganz praktisch, allgemeiner Wohlstand durch Gerechtigkeit und Freigebigkeit, durch Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe gefördert werden kann.
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Unser Aufruf, die Implikationen der Offenbarung Bahá’u’lláhs für das Wirtschaftsleben zu untersuchen, richtet sich an Bahá’í-Institutionen und -Gemeinden, vor allem aber an jeden einzelnen Gläubigen. Wenn ein neues Modell des Gemeindelebens nach dem Muster der Lehren entstehen soll, muss dann nicht die Gemeinschaft der Gläubigen in ihrem eigenen Leben eben jenes rechtschaffene Verhalten aufweisen, das eines ihrer charakteristischsten Merkmale ist? Jede Entscheidung, die ein Bahá’í trifft – als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, als Produzent oder Verbraucher, Kreditnehmer oder Kreditgeber, Wohltäter oder Begünstigter – hinterlässt eine Spur, und die moralische Pflicht, ein kohärentes Leben zu führen, verlangt, dass unsere wirtschaftlichen Entscheidungen hehren Idealen entsprechen, dass die Reinheit unserer Ziele in Einklang steht mit der Reinheit unseres Handelns, um diese Ziele zu erreichen. Natürlich blicken die Freunde stets auf die Lehren als den Standard, den es anzustreben gilt. Aber das zunehmende gesellschaftliche Engagement der Gemeinde fordert, dass ihre Aufmerksamkeit sich immer stärker auch auf die wirtschaftliche Dimension des sozialen Lebens konzentrieren muss. Vor allem in Clustern, in denen der Prozess der Gemeindebildung beginnt, Menschen in großer Zahl zu erfassen, sollten die in den Bahá’í-Schriften enthaltenen Ermahnungen zunehmend auch die wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb von Familien, Nachbarschaften und Volksgruppen prägen. Nicht zufrieden mit den jeweiligen Wertvorstellungen der sie umgebenden Ordnung, sollten die Freunde überall darüber nachdenken, wie sie die Lehren auf ihr Leben anwenden können, und, indem sie die Möglichkeiten nutzen, die ihre Lebensumstände ihnen bieten, ihren eigenen individuellen und kollektiven Beitrag zu wirtschaftlicher Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Fortschritt leisten, wo immer sie leben. Solches Bemühen wird einen wachsenden Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet zeitigen.
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In diesem Zusammenhang ist die geistige Wirklichkeit des Menschen ein grundlegendes Konzept, das es näher zu erforschen gilt. In der Offenbarung Bahá’u’lláhs wird der Adel, der jedem Menschen innewohnt, unmissverständlich verkündet. Dies ist ein fundamentaler Grundsatz des Bahá’í-Glaubens, und auf diesen Grundsatz gründet sich die Hoffnung für die Zukunft der Menschheit. Wiederholt bestätigen die Schriften, dass die Seele die Fähigkeit hat, alle Namen und Eigenschaften Gottes – des Mitleidvollen, des Schenkenden, des Freigebigen – widerzuspiegeln. Das Wirtschaftsleben ist ein Schauplatz, wo Ehrlichkeit, Integrität, Vertrauenswürdigkeit, Großzügigkeit und andere geistige Eigenschaften zum Ausdruck kommen sollen. Das Individuum ist nicht einfach nur ein eigennütziges Wirtschaftssubjekt, darauf bedacht, einen immer größeren Anteil an den materiellen Ressourcen der Welt für sich in Anspruch zu nehmen. „Des Menschen Vorzug liegt im Dienst und in der Tugend“, betont Bahá’u’lláh, „nicht im Prunk des Wohllebens und des Reichtums.“ Und weiter:
„Vergeudet nicht den Reichtum eures kostbaren Lebens im Verfolg böser, verderbter Neigung, noch lasst eure Mühe völlig in der Förderung eurer eigenen Interessen aufgehen.“ Indem wir uns dem Dienst an anderen weihen, finden wir Sinn und Zweck im Leben und tragen zur Besserung der Gesellschaft bei. Zu Beginn Seiner berühmten Abhandlung Das Geheimnis göttlicher Kultur schreibt ‘Abdu’l-Bahá:
„Und Ehre und Würde des Einzelnen liegen darin, dass er vor all den Massen der Weltbewohner zu einer Quelle des gesellschaftlichen Wohles wird. Gibt es eine größere Gnade als die, dass ein Mensch, wenn er in sich geht, feststellen darf, dass er, durch göttliche Gunst bestätigt, Frieden und Wohlfahrt, Glück und Nutzen unter seinen Mitmenschen bewirkte? Nein, bei dem einen wahren Gott! Es gibt keine größere Freude, kein vollkommeneres Glück.“
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In diesem Licht betrachtet gewinnen viele scheinbar alltägliche wirtschaftliche Aktivitäten neue Bedeutung aufgrund ihres Potenzials, zu Wohlergehen und Wohlstand beizutragen. „Jeder braucht einen Beruf, ein Gewerbe oder ein Handwerk“, erklärt der Meister, „damit er die Lasten anderer tragen kann und nicht selbst eine Bürde für andere sei.“ Die Armen werden von Bahá’u’lláh aufgefordert, sich zu „bemühen und danach [zu] streben, sich die Mittel zum Lebensunterhalt zu verdienen“, während diejenigen, die Reichtum besitzen, „den Armen größte Beachtung schenken“ müssen. „Wohlstand“, so bestätigt ‘Abdu’l-Bahá, „ist allen Lobes wert, wenn er durch die eigenen Anstrengungen eines Menschen und durch die Gnade Gottes auf den Gebieten des Handels, der Landwirtschaft, der Kunst oder des Gewerbefleißes erworben und für menschenfreundliche Zwecke ausgegeben wird“. Gleichzeitig sind jedoch die Verborgenen Worte voll von Warnungen vor den gefährlichen Verlockungen des Reichtums, der eine „mächtige Schranke“ ist zwischen dem Gläubigen und dem wahren Ziel seiner Anbetung. Es wundert also nicht, dass Bahá’u’lláh die Stufe des Reichen preist, den sein Besitz nicht daran hindert, das ewige Reich Gottes zu erlangen; der Glanz einer solchen Seele „soll die Himmelsbewohner so erleuchten, wie die Sonne dem Erdenvolk Licht spendet“. ‘Abdu’l-Bahá stellt fest: „... wenn ein kluger, verständiger Mensch Wege fände, wie das Einkommen der Volksmassen allgemein gehoben werden kann, [gäbe es] kein wichtigeres Unternehmen als dieses, und in den Augen Gottes würde dies als die größte Errungenschaft gelten“. Denn „Wohlstand ist in höchstem Maße lobenswert, sofern die ganze Bevölkerung in Wohlstand lebt“. Jeder von uns muss seine eigene Lebensweise überprüfen, um zu entscheiden, was wirklich notwendig ist, und dann voll Freude seine Verpflichtungen nach dem Ḥuqúqu’lláh-Gesetz erfüllen. Solche Disziplin ist unerlässlich, um die eigenen Prioritäten zu ordnen, jeglichen Besitz zu reinigen und sicherzustellen, dass der Anteil, der das Recht Gottes ist, dem Wohl der Allgemeinheit zugutekommt. Zufriedenheit und rechtes Maß, Güte und Mitgefühl, Opferbereitschaft und das Vertrauen auf den Allmächtigen sind zu allen Zeiten Eigenschaften, die der gottesfürchtigen Seele wohl anstehen.
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Die Kräfte des Materialismus fördern ein diametral entgegengesetztes Denken: Glück erlangt man als Folge ständigen Konsums; je mehr man hat, desto besser; und morgen ist auch noch ein Tag, um sich um die Umwelt zu sorgen. Solche verführerischen Botschaften schüren ein sich immer mehr verfestigendes Anspruchsdenken, das die Rhetorik von Recht und Gerechtigkeit benutzt, um doch nur Eigennutz zu verschleiern. Gleichgültigkeit gegenüber der Not anderer wird alltäglich, während Ablenkung, Unterhaltung und Vergnügungen aller Art unersättlich konsumiert werden. Langsam durchdringt der zermürbende Einfluss des Materialismus jede Kultur, und alle Bahá’í erkennen, dass auch sie – in unterschiedlichem Maß – seine Weltsicht unwillkürlich übernehmen, sofern sie sich nicht mit aller Kraft bemühen, sich seine Auswirkungen immer wieder bewusst zu machen. Eltern müssen sich klar darüber sein, dass Kinder die Normen ihrer Umgebung in sich aufnehmen, selbst wenn sie noch sehr jung sind. Das Programm zur Freisetzung geistiger Kräfte Juniorjugendlicher fördert das Nachdenken und schärft das Urteilsvermögen in einem Alter, in dem die Verlockung des Materialismus immer stärker wird. Mit dem Erwachsenwerden kommt eine Verantwortung, die man mit seiner gesamten Generation teilt: Weltliches Streben darf uns nicht dazu verleiten, blind für Not und Unrecht zu werden. Die Kurse des Trainingsinstituts bringen uns in Kontakt mit dem Wort Gottes, und die dabei vermittelten Eigenschaften und Einstellungen helfen uns mit der Zeit, die Illusionen zu durchschauen, derer sich die Welt in jeder Phase unseres Lebens bedient, um unsere Aufmerksamkeit vom Dienen weg auf das Ich zu lenken. Und schließlich lässt das systematische Studium des Wortes Gottes und die Erforschung seiner Implikationen das Bewusstsein dafür reifen, dass es notwendig ist, unsere materiellen Angelegenheiten im Einklang mit den göttlichen Lehren zu regeln.
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Geliebte Freunde, die Extreme von Reichtum und Armut in der Welt werden immer untragbarer. Je länger die Ungleichheit fortdauert, desto mehr erkennt man, dass die etablierte Ordnung sich ihrer selbst nicht mehr sicher ist, und stellt ihre Werte in Frage. Ganz gleich, welche Leiden eine zerstrittene Welt noch erfahren wird, wir beten darum, dass der Allmächtige Seinen Geliebten helfen wird, alle Hindernisse auf ihrem Weg zu überwinden, und ihnen beistehen wird, der Menschheit zu dienen. Je stärker die Präsenz einer Bahá’í-Gemeinde innerhalb einer Bevölkerung zunimmt, desto größer ist auch ihre Verantwortung, Wege zu finden, um dort die tieferen Ursachen der Armut anzugehen. Auch wenn die Freunde noch am Anfang dieses Lernprozesses stehen und erst beginnen, sich an den damit verbundenen Diskursen zu beteiligen, schafft doch der Prozess der Gemeindeentwicklung im Fünfjahresplan überall das ideale Umfeld, um – langsam, aber kontinuierlich – Wissen und Erfahrung über das höhere Ziel wirtschaftlichen Handelns wachsen zu lassen. Möge – vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Arbeit an der Errichtung einer göttlichen Zivilisation – solches Forschen und Lernen in den kommenden Jahren ein noch klarer hervortretendes Merkmal von Gemeindeleben, institutionellem Denken und individuellem Handeln werden.
[gezeichnet: Das Universale Haus der Gerechtigkeit]
Wittener Bahá’í erhalten neues Zentrum
Witten. Zum 1. November eröffnet das erste religiöse Zentrum der Bahá’í in Witten. Das Ehepaar Böller-Hesse erklärt, was der Glaube für sie bedeutet.
Lesen Sie den vollständigen Presse-Artikel in der WAZ-Online vom 24.10.2017:
Mullá Ḥusayn, der erste Buchstabe des Lebendigen (Jináb–i–Báb)
Loslösung – Gottvertrauen – Dienstbarkeit – unbezähmbarer Mut – unbändige Entschlossenheit
Mullá Ḥusayn, Sohn eines nicht ganz armen Färbers und einer sehr gebildeten Dichterin, wurde im Jahre 1813 in Bushrú‘í geboren. Er war ein sehr begabter junger Mann, der seine traditionelle theologische Ausbildung bereits mit 18 Jahren abgeschlossen hatte und mit Siyyid Káẓim in Kontakt stand.
Zu diesem Zeitpunkt verstarb sein Vater und er musste als Ältester von fünf Kindern für seine Familie sorgen. Die Familie folgte ihm nach Karbilá, Irak, wo damals die größten islamischen Theologen residierten und wo er die folgenden elf Jahre Schüler von Siyyid Káẓim war. Siyyid Káẓim setzte von Anfang an großes Vertrauen in Mullá Ḥusayn, den er bald bevollmächtigte, an seiner statt komplizierte Fragen von Suchenden zu beantworten.
Schließlich suchte Siyyid Káẓim einen geeigneten Gesandten, um in Iṣfáhán, wo die Shaykhí-Bewegung in großer Bedrängnis war, den führenden Theologen Siyyid Muḥammad Báqir von der Rechtmäßigkeit der Shaykhí-Bewegung zu überzeugen. Unter allen Schülern suchte er Mullá Ḥusayn aus und schickte ihn auf die lange Reise (1000 Meilen). Nach vielen Monaten der Reise betrat dieser das Anwesen des wohlhabenden Báqirs und seiner Elitestudenten und stand ihm ohne jegliche Vorbereitung noch in Reisekleidung Rede und Antwort. Im Laufe mehrerer Gespräche konnte er ihm alle seine Zweifel nehmen. Báqir bezeugte schriftlich die Größe der Shaykhí-Bewegung und blieb bis zu seinem Lebensende (vor 1844) ein treuer Anhänger der Bewegung.
Mullá Ḥusayn schickte das schriftliche Bekenntnis an den hocherfreuten Siyyid Káẓim. Insgesamt blieb Mullá Ḥusayn zwei Jahre im Auftrag von Siyyid Káẓim im Iran. Er unterrichtete ihn ständig über seine Aktivitäten und handelt nach Siyyid Káẓims Anweisungen. Obwohl sie sich nicht mehr persönlich trafen, blieb Mullá Ḥusayn, wie verschiedene Briefe von Siyyid Káẓim zeigen, sein engster Schüler.
Nachdem Mullá Ḥusayn schließlich alle Aufträge ausgeführt hatte, kehrte er zurück nach Karbilá, wo er bestürzt feststellen musste, dass Siyyid Káẓim inzwischen verstorben war. In den nächsten Tagen traf Mullá Ḥusayn mit den wichtigsten Schülern Siyyid Káẓims zusammen, um Informationen über dessen letzte Weisungen zu erhalten. Er war äußerst verwundert, als keiner der Schüler der letzten Aufforderung Siyyid Káẓims gefolgt war, nämlich die Stadt zu verlassen und nach dem Verheißenen zu suchen.
Den Rest der Geschichte kennen wir. Nach 40 Tagen des Fastens begibt sich Mullá Ḥusayn zusammen mit seinem Bruder und seinem Neffen auf die Reise. Vor den Toren der Stadt Shíráz trifft er einen jungen Mann mit grünem Turban. Warum er den Weg nach Shíráz wählte, ist nicht ganz klar. Eine Überlieferung sagt, dass am Tag seiner Abreise eine Frau Mullá Ḥusayn gebeten hat, ihr einen Traum zu deuten. Sie erzählte, dass sie im Traum einen Platz sah, wo eine Gruppe von Menschen stand, die gemeinsam äußerten, dass binnen kurzem die Sonne über Shíráz aufgehen würde.
Nach der Erklärung des Báb blieb Mullá Ḥusayn für 40 Tage der einzige Gläubige. Trotz all der Schwierigkeiten und Mühsal, die er in seinem Leben zu erdulden hatte, berichtete er selbst einem Freund: „Meine härteste Zeit waren diese 40 Tage, an denen ich der einzige Gläubige des Báb war und mir aufgetragen war, dieses Geheimnis für mich zu behalten und es mit niemandem teilen zu dürfen!“
Anders als bei Christus, der Seine Botschaft zunächst den einfachsten Leuten vermittelte (Petrus war ein Fischer, der noch nicht einmal den Kalender kannte und seine Fische in sieben Haufen teilte, um zu wissen, wann Sabbat war!), war der erste Anhänger des Báb der Gebildetste der Shaykhí-Schüler von Siyyid Káẓim. Er hatte mit seinen 31 Jahren bereits die größten Gelehrten des Iran argumentativ besiegt, um sich dann innerhalb von wenigen Minuten vollständig einem Jugendlichen zu unterwerfen, der theologisch ungebildet und sieben Jahre jünger war als er selbst!
Im Weiteren nimmt ‒ anders als von ihm erwartet ‒ der Báb nicht Mullá Ḥusayn mit auf Seine anschließende Pilgerreise, sondern Quddús. Mullá Ḥusayn schickt Er hingegen als Verkünder Seiner Sendung auf eine Lehrreise nach Iṣfáhán, Káshán, Qum, Ṭihrán und Mashhad. Der Báb hatte ihn dabei auf ein besonderes Geheimnis in Ṭihrán vorbereitet und es war dort, wo er das Vorrecht bekam, Bahá'u'lláh zu lehren! Allerdings traf er Ihn zu diesem Zeitpunkt nicht persönlich. Am Ende seiner Reise sollte er dem Báb einen Bericht schicken, was auch geschah.
Kleiner Exkurs zur Zeitberechnung: Der Weg von Shíráz über Ṭihrán nach Mashhad betrug über 1100 Meilen (1800 km); hinzu kommen weitere 1000 Meilen (1600 km): Der Transportweg des Briefes, den Mullá Ḥusayn von Mashhad aus schickte, nach dessen Erhalt der Báb Seine Pilgerfahrt antrat und sich Anfang Oktober 1844 in Búshihr auf einen Segler einschiffte. All dies ereignete sich in maximal 90 Tagen. Berechnet man die damals übliche Zeit fürs Reisen oder den Brieftransport, war dies nur möglich, wenn Mullá Ḥusayn auf seiner Reise wenig bis gar nicht bzw. auf seinem Reittier geschlafen hat!!
Mullá Ḥusayn hatte überall großen Erfolg. Als sein Bericht ankommt, ist es die Erklärung Bahá’u’lláhs, die überwältigende Freude beim Báb und bei Quddús auslöst, wie Augenzeugen später berichten. Der Báb hatte auf diese Nachricht gewartet und begab Sich erst dann auf Pilgerreise.
Auf seinen weiteren Reisen trifft Mullá Ḥusayn erstmals persönlich Bahá'u'lláh in Ṭihrán (von dieser Begegnung gibt es leider keinerlei Bericht) und dann auch Ṭáhirih in Qazvín, die sehr beeindruckt gewesen sein muss, denn sie preist anschließend in Briefen seine Größe. In Mázindarán entdeckt er, wie vom Báb vorausgesagt, einen besonderen, verborgenen Schatz: Quddús. Diesen hatte er zwar zuvor bereits getroffen, aber dessen Bedeutung wurde ihm erst dort klar. Quddús ist zehn Jahre jünger als Mullá Ḥusayn und behandelt diesen zunächst als einen großen Lehrer. Bis Mullá Ḥusayn einige Schriften von Quddús studiert und dessen wahre Größe erkennt. Seine Bewunderung und Hochachtung für Quddús ist so groß, dass er sich später ‒ tödlich verwundet ‒ auf seinem Sterbebett aufrichtet, als Quddús das Zelt betritt, und fragt, ob er zufrieden mit ihm sei.
Ergänzungen:
Mullá Ḥusayn als Krieger:
Er war Theologe, der Schilderung nach schwach und gebrechlich, hatte eine zitternde rechte Hand und litt sehr wahrscheinlich an Herzproblemen. Dennoch führte er – angetan mit dem Turban des Báb und mit gehisstem Schwarzen Banner ‒ die dann kommenden Schlachten um Shaykh Ṭabarsí an, schlug Baum und Mann mit einem Schlag seines Säbels durch und kannte auch im Kugelhagel der Feinde kein Zurück.
Mullá Ḥusayn und die Theologie:
Als Mullá Ḥusayn mit einem Freund an einer theologischen Schule vorbeigeht, sagt er:
„Never from this School has come learning - This House of ignorance is fit for burning.” *
Der Freund meint: „Aber wenn solche Schulen große Leute wie Dich hervorgebracht haben, sind sie dann nicht allen Lobes wert?“ „Nein! Diese Bildung hat mich dazu gebracht, mit meinem Herrn zu argumentieren!“
Zu seinem Namen:
Der Báb gab Mullá Ḥusayn verschiedene Namen. Der Báb nennt Sich Selbst nur im 1. Jahr Seiner Sendung „Báb“ und Mullá Ḥusayn „Bábu’l-Báb“; danach verleiht Er ihm aber den Titel „Báb“ und nennt sich „Siyyid-i-Dhikr“ (das Gedenken Gottes, remembrance of God). So kündigen in Shaykh Ṭabarsí die Bábí Mullá Ḥusayn an mit den Worten: „Jináb-i-Báb“ (das ist „Seine Ehren, der Báb“).
Stufen der Enthüllung der Rangstufe des Báb:
Laut Mehrabkhani war sie dreistufig: Zuerst nannte Er sich „Báb“, dann „das Gedenken Gottes“ und schließlich „der Verheißene Qá’im“. Letzteres bei der öffentlichen Anhörung von Theologen in Anwesenheit des Kronprinzen in Tabríz. Allerdings hat Er von Anfang an die drei Kriterien einer Manifestation erfüllt: Eigene Erklärung als Manifestation Gottes, das Offenbaren von Versen und die Verkündigung neuer Gesetze.
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* “Wissen kam von dieser Schule nimmer – dieses Haus der Dummheit taugt allein für’s Feuer.“
Quelle: Mehrabkhani, Ruhuʼllah. Mullá Husayn: Disciple at Dawn. Los Angeles/USA, 1987
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